Die Zeichnung, die "Heilige Familie" vorstellend, befindet sich seit 1899 im Bestand des Berliner Kupferstichkabinetts und wird erst seither regelmäßig in der Forschung besprochen.
Die jugendliche Maria sitzt, eine Nelke in ihrer rechten Hand, in ein ausladendes Gewand gehüllt auf einer Rasenbank. Die langen Locken umschmiegen ihre Schultern. Sie senkt ihren Blick zum Jesusknaben, den sie sanft auf ihrem Schoß hält. Dieser blickt und zeigt zum greiseren Joseph, der, den Betrachter*innen zugewandt, den Kopf aufstützt und eingeschlafen ist. Die Figurengruppe wird von einer Landschaftsansicht hinterfangen.
Während der frühen 1490er Jahren entstanden, knüpft das nachträglich von fremder Hand aufgebrachte und später wieder getilgte Monogramm Martin Schongauers an den Inspirationsraum von Dürers Wanderjahren an. Dieser war, den heute erhaltenen Abschriften seiner sogenannten Familienchronik zufolge, 1492, also nach Martin Schongauers Tod, zu Gast bei dessen Brüdern in Colmar und Basel (vgl. z.B. Exemplar der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, Will Nor III 916 fol., 16r).
S. 10, Nr. 615