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Tattoo Artist Maud Dardeau stach das Motiv 2012 in Paris. Vorbild für die den ganzen Rücken einnehmende Tätowierung war in erster Linie Dürers Holzschnitt "Die apokalyptischen Reiter" (vgl. Schoch/ Mende/ Scherbaum II, S. 76, Nr. 115), den er als Teil des Zyklus der Apokalypse 1498 veröffentlichte. Der überwiegende Teil der Darstellung folgt dabei detailgenau der Vorlage. So erscheinen etwa die Gestalten der Pferde, die Körperhaltungen und Kleidung der Reiter sowie die Figuren der zu Boden gefallenden Menschen nahezu identisch. Die Köpfe der vier Protagonisten sind allerdings in verschiedener Weise abgewandelt. Der hintere Reiter mit dem Bogen besitzt einen Totenschädel mit leeren Augenhöhlen. Der Kopf des nächsten mit dem Schwert ist scheinbar gehäutet, Muskelstränge und Sehnen überziehen ihn. Dort, wo das Gesicht des Reiters in der Mitte zu erwarten ist, befindet sich eine schwarz ausgefüllte Fläche, die lediglich von gebleckten Zähne durchbrochen wird. Von dem schwarzen Rund ausgehend wehen zottelige Haare in alle Richtungen, einen Arm hat er hinter sich ausgestreckt. In der der Vorlage hält er mit diesem eine Waage, in der Adaption greift er nach einem Ballon, der aus einer weiteren Tätowierung hervorgeht. Der vierte Reiter, der unten rechts auf einer Schindmähre unterwegs ist und der bei Dürer mit seinen ausgemergelten Gesichtszügen den Tod repräsentiert, erscheint im Tattoo als Mischwesen aus Mensch und Vogel mit weit aufgerissenem Schnabel. Überhöht wird die Szene von einer Agnus-dei-Darstellung, der mit dem "Lobgesang der Auserwählten im Himmel/ Anbetung des Lammes" (vgl. Schoch/ Mende/ Scherbaum II, S. 99, Nr. 124) ein weiterer Holzschnitt der Apokalypse zu Grunde liegt.
Die Linienführung der Tätowierung ist prinzipiell an jener der Druckgraphik orientiert, Tattoo Artist Dardeau variierte jedoch einige Partien zu Gunsten einer besseren Lesbarkeit der Komposition: bei dem Reiter mit dem schwarzen Gesicht glättete sie etwa die federartigen Ausläufer seines Gewands und verzichtete auf den schmuckvollen Besatz, der dessen Gürtel in der Vorlage ziert. Die langgezogene Parallelschraffur von Wolken und Himmel ergänzte sie um kurze Striche bis hin zu Punkten – die Gestaltungsweise des Hintergrunds hebt sich damit deutlich von jener der figürlichen Bildelemente ab. Das wohl ältere Tattoo mit dem Ballon wurde nahtlos in das neue Bildkonzept integriert.
S. 63