NEC • MICHI • NEC : TIBI • SED • DIVI • DATVR
Die Skizze des salomonischen Urteils ging im Februar 1835 aus der Sammlung Carl Ferdinand Friedrich von Naglers in den Bestand des Berliner Kupferstichkabinetts über. Zwar bereits in der ab 1827 erschienenen Dürer-Monographie des Bamberger Sammlers Joseph Heller aufgelistet - seinerzeit in Besitz des Joseph Grünling (vgl. Heller Dürer 1817 I, S. 121, Nr. 3) - blieb sie über Jahrzehnte unbesprochen. Erst Max Friedländer publizierte die lange "übersehene Dürer-Zeichnung" in seiner Funktion als Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts im Jahr 1916 (vgl. Friedländer 1916, S. 99-102).
Dürer verbildlichte das berühmte Urteil des Salomo über den Streit zweier Frauen, die sich beide als Mutter desselben Säuglings sahen. Auf einem Thron im Zentrum sitzend befiehlt er, dass das Baby mit dem Schwert zweizuteilen sei, um jede Frau mit einer Hälfte zufriedenzustellen. In der Bibelgeschichte erkennt König Salomo die echte Mutter an der Bereitschaft auf das Kind zu verzichten, um es am Leben zu erhalten. Bei Dürer ist oberhalb von König, Streitenden und Zuschauenden am Gesims die lateinische Inschrift "NEC • MICHI • NEC : TIBI • SED • DIVI • DATVR" zu lesen und verweist darauf, dass alles in Gottes Hand liege.
Verschiedene Forschende vermuteten hinter der Komposition eine italienische Gemäldevorlage (z.B. Winkler II, S. 86, Nr. 374) und datierten die Skizze in Dürers zweite Italienreise bzw. deren Nachgang. Friedländer hielt das Dürer-Monogramm für eigenhändig, was jedoch nicht alle seiner Kollegen überzeugte (vgl. Strauss 1974 II, S. 970, 1506/43).
S. 5, Nr. 744
S. 970, 1506/43