MEMENTO MEI
Die Zeichnung "Simson schlägt die Philister", die zwischen 1911 und 1921 durch eine Bestandsübertragung aus dem Beuth-Schinkel Museum (Berlin) in die Sammlung des Berliner Kupferstichkabinett überging, ist eine Bildhauervorlage, die Dürer für das Epitaph des 1506 verstorbenen Georg Fugger bei St. Anna in Augsburg entwarf (hierzu Paula 2010). Das Pendant für dessen 1510 verstorbenen Bruder Ulrich Fugger d. Ä. ist nur in künstlerischen Nachahmungen überliefert (z.B. Wien, Albertina, Inv.-Nr. 3126). Der Nürnberger Künstler scheint essentiell in die Planung der familieneigenen Gedächtnisstätte eingebunden gewesen zu sein (vgl. Falk 1996, S. 536).
Im Hauptfeld thront Gottvater samt der Taube als Symbol des heiligen Geistes unter dem Scheitel des Rundbogens. Darunter zeigt der Künstler Simson im Löwenmantel auf Krieger im Harnisch einschlagen. Das Narrativ auf die vorausgegangene Lebensgeschichte erweiternd, finden sich oberhalb weitere Szenen. Oben links kämpft Simson mit dem Löwen oder trägt die zuvor ausgehebelten Tore von Gaza davon. Rechts im Hintergrund erhaschen die Betrachter:innen durch ein Palastfenster einen Blick darauf, wie seine Frau Delila ihm nach der Bestechung durch die Philister im Schlaf die Haare abschneidet, um ihn seiner übermenschlichen Kräfte zu berauben. In der mittleren Zone des architektonischen Bildaufbaus ist - begleitet von den zum Gedenken aufrufenden Worten "MEMENTO MEI" - ein männlicher Leichnam umgeben von Vanitassymbolen aufgebahrt. In der Sockelzone flankieren musizierende und tollende Putten eine leere Inschriftentafel, in die nachträglich von fremder Hand Dürers Monogramm eingefügt und auch wieder getilgt wurde. Die Forschungsmeinung der Tietzes, die das Blatt als Werkstattarbeit einstuften (vgl. Tietzes 1937 II, S. 155, W 77), fand kaum Anklang in der Forschungsgemeinde.
Für die Berliner Sammlung konnte bereits 1877 unter Friedrich Lippmann eine motivgleiche Zeichnung angekauft werden (Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 18), die Forschende bis ins 20. Jahrhundert für eine von Dürer eigenhändig angefertigte Wiederholung hielten, die sich im Verwendungszweck und damit in gestalterischen Details unterscheidet (z.B. Best.-Kat. Berlin 1921 I, S. 27). In ihr fehlen Leichnam und Todessymbolik. An ihr konnten Spuren eines Pausvorgangs nachgewiesen werden (vgl. Endrődi 2013, S. 1016). Heute gilt sie als Kopie nach Dürers Bildhauervorlage, die erst in der sogenannten Dürer-Renaissance um 1600 entstand.
S. 7, Nr. 760
S. 155, W 77
S. 145, Nr. 1537
S. 1236, 1510/20
Nr. 61