1520 notierte Dürer in das sogenannte Tagebuch der niederländischen Reise, das zwar im Original verschollen, doch durch zwei frühneuzeitliche Abschriften überliefert ist (Nürnberg, Staatsarchiv, Reichsstadt Nürnberg, Ratskanzlei, A-Laden Akten 145/15b, 18 sowie Bamberg, Staatsbibliothek, JH.Msc.Art.1#1), er habe Erasmus von Rotterdam während seines Aufenthalts in Antwerpen "noch einmahl conterfet". Tatsächlich hat sich heute nur die Kohlezeichnung erhalten, die sich Département des Arts graphiques des Louvre befindet.
Sie zeigt den Gelehrten frontal als Brustbild in einen Mantel gekleidet. Unter seinem bis in die Stirn gezogenen Hut blitzen seine Haare hervor. Der ernste Gesichtsausdruck gilt nicht den Betrachter*innen. Seine Augenlider sind niedergeschlagen.
1526, also mehrere Jahre nach Entstehung der Zeichnung, stach Dürer ein Bildnis Erasmus in Kupfer. Für dieses Gelehrtenbildnis, das den Porträtierten am Schreibpult stehend im Dreiviertelprofil zeigt, diente die Kohleskizze wohl nur, um an das Erscheinungsbild zu erinnern. An den Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer schrieb Erasmus im Entstehungsjahr des Kupferstichs, dass dieser nicht mit ihm übereinstimme und begründet dies mit den Worten "so sein wir auch nicht mehr derjenige, der wir vor fünff Jahren gewesen" (Bamberg, Staatsbibliothek, JH.Msc.Art.50, S. 16v). Dieser Brief ist, ebenso wie einige andere des Erasmus, an verschiedene Abschriften der sogenannten Familienchronik angehängt worden.
S. 6, Nr. 361
S. 1934, 1520/16