Hollstein, Ernst (1918-1988)

Nach Kindheit und Jugend im Limburg an der Lahn bestand Ernst Hollstein 1937 am Gymnasium seiner Heimatstadt das Abitur. Es folgten die zeittypischen Stationen seiner Generation: zunächst Arbeitsdienst, danach Wehrmacht und Gefangenschaft bis 1946. Im gleichen Jahr begann er eine Lehre als Bau- und Möbelschreiner. Er war in diesem Beruf auch tätig, betrieb aber nebenberufliche eine weitere fachlich verwandte Ausbildung zum Holzbildhauer. Es folgte ab 1950 ein Studium am Berufspädagogischen Institut in Frankfurt am Main mit den ihn besonders interessierenden Schwerpunkten: Holztechnologie, Architekturgeschichte, Wahrscheinlichkeitslehre und Statistik. Am Ende dieses Ausbildungsweges stand sein berufliches Ziel: ab 1953 war er als Lehrer an der Gewerblichen Berufsschule und der Technischen Berufsaufbauschule in Trier tätig, zuletzt als Oberstudienrat.
Seit Anfang der 1960er Jahre betrieb er als Autodidakt auf privater Basis ohne institutionelle Einbindung intensive Studien zur Jahrringchronologie von Bäumen des Moselraumes nach dem Vorbild des US-Amerikaners Andrew E. Douglass und publizierte bereits darüber. In Zusammenarbeit mit Walter Nieß strebte er schon 1964 eine Standardkurve für Eichen im Raum Hessen-Mittelrhein-Mosel an. Als fruchtbar erwies sich die Kooperation mit Bruno Huber vom Forstbotanischen Institut in München ab 1964, mit dessen Untersuchungsmethoden sich Hollstein schon eingehend befasst hatte. Einem Anstoß Hollsteins folgend, gelang beiden mit der erfolgreichen Zusammenführung der hessischen und moselländischen Eichenkurven die Etablierung einer bereits etwa 1000-jährigen überregionalen Standardkurve. Sie sollte sich über weitere Regionalisierungen als Ausgangspunkt für eine großräumige Eichenchronologie erweisen. Hierzu strebte Hollstein zunächst ihre rückwärtige Verlängerung bis zum Beginn der Römerzeit an, wobei die nur lückenhaft mit Holzfunden belegte Merowingerzeit zunächst noch ein besonderes Problem darstellte.
Für den weiteren Ausbau zu einer westdeutschen Eichenchronologie wurde Hollstein 1968-1969 vom rheinland-pfälzischen Kultusministerium von seiner Tätigkeit als Lehrer beurlaubt, um seine Forschungen am von Hermann Schwabedissen geleiteten Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln im Rahmen eines DFG-Projekts fortsetzen zu können. Die angestrebte und von Hollstein erhoffte dauerhafte Etablierung am Kölner Institut erfüllte sich aber nicht.
Ausschlaggebend für den dauerhaften Erfolg von Hollsteins Forschungen wurde die – schon in den frühen 1960er Jahren begonnene – enge Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Landesmuseum Trier und dem dort tätigen Kustos Heinz Cüppers, angestoßen von gemeinsamen Untersuchungen zur Baugeschichte der Trierer Römerbrücken. Eine Verstetigung seiner Arbeiten und eine Ausweitung des Einzugsbereiches auf ganz Mitteleuropa erfuhr Hollstein 1969 mit der von Museumsdirektor Reinhard Schindler betriebenen dauerhaften Versetzung als Obermuseumsrat an das Rheinische Landesmuseum Trier und der damit verbundenen Begründung des Trierer Dendrochronologischen Forschungslabors.
Hier bot sich die besondere Chance, beim weiteren systematischen Aufbau einer Jahrringchronologie der Eichen neben der mittelalterlich-rezenten Kurve auch eine römisch-eisenzeitliche Kurve durch Hölzer aus archäologischen Zusammenhängen aufzubauen. Im Laufe der weiteren Arbeiten gelang es, die zunächst nur relativ datierten, noch „schwimmenden“ Teilchronologien durch weitere Belege zu verbessern und schließlich überbrückend miteinander zu verbinden. Am Trierer Dendro-Labor war Hollstein auch über seine Pensionierung 1983 hinaus bis zu seinem Tod weiter tätig.
Gelegentliche Kritik an Hollsteins Datierungsergebnissen und seiner Arbeitsweise schmälern nicht seine Lebensleistung. Anfängliches Misstrauen mancher etablierter Archäologen in die Verlässlichkeit der durch einen Außenseiter erhobenen dendrochronologischen Datierungen haben sich als nicht stichhaltig erwiesen. Der damit verbundene Erwartungsdruck mag aber mit dazu geführt haben, dass Hollstein gelegentlich auch Datierungen veröffentlicht hat, die noch nicht auf einer ausreichenden Datengrundlage beruhten und später korrigiert werden mussten (wie im Fall der eisenzeitlichen Befestigung auf dem Bremerberg bei Kirnsulzbach). Als methodisch problematisch haben sich auch die Fälle erwiesen, in denen er noch nicht ausreichend in sich abgesicherte Dendro-Daten mit historisch überlieferten Ereignissen abgestützt hatte (so bei der Kölner Rheinbrücke).
Hollstein war Pionier in der Anwendung dendrochronologischer Methoden auf kulturgeschichtliche Holzobjekte. Durch sein Werk wurde die Dendrochronologie zu einer archäologischen Hilfswissenschaft. Bei bescheidener Geräteausstattung kam ihm seine holztechnische Ausbildung bei Probenentnahmen und der Präparation der Hölzer zugute. Die umfassende Kenntnis mathematisch-statistischer Auswertungsverfahren führte ihn zu neuen Untersuchungsverfahren wie der Regionaldiagnose oder der Entwicklung von Kriterien zur Aussagesicherheit von Datierungen bei Hölzern ohne Waldkante.
Hollsteins Ziel war die absolute Altersbestimmung durch jahrgenaue Datierung von Holzfunden aus archäologischen und baugeschichtlichen Zusammenhängen, daneben auch von hölzernen Kunstwerken. Die Ergebnisse seiner Forschungen sind in zahlreichen Gutachten und Publikationen vorgelegt, so zu hallstattzeitlichen Gräbern und Befestigungen, römischen Brücken und Schiffen, mittelalterlichen Bauhölzern aus Domen des Rheinlandes oder Fachwerkbauten und Holzskulpturen; als spektakulär erwies sich die Datierung der Cathedra Petri im Vatikan. Hollsteins Hauptwerk bildet die „Mitteleuropäische Eichenchronologie“, ein Baumringkalender auf der Basis von ca. 2.000 Holzproben von 300 Fundplätzen, der bei seiner handbuchartigen Publikation 1980 von der Gegenwart zurück bis zum Jahr 691 vor Chr. reichte.
Holz war das Leitmotiv im Leben von Ernst Hollstein: als natürlicher Baum, als bautechnischer Werkstoff, als künstlerisches Ausgangsmaterial sowie insbesondere als wissenschaftlicher Datenspeicher durch alle Epochen der Kulturgeschichte.