Merhart, Gero von (1886-1959)

Gero von Merhart war der Erste Ordentliche Ordinarius für Vorgeschichte im Deutschen Reich; er wurde 1928 auf den neu eingerichteten Marburger Lehrstuhl berufen und wirkte hier schulbildend als Lehrer der ersten Generation professionell ausgebildeter Vorgeschichtler.

Ursprünglich in Geologie promoviert, wandte sich Merhart schon vor dem Ersten Weltkrieg der Prähistorie zu: Schon als Student engagierte er sich, ebenso wie seine Eltern, im Museumsverein des Vorarlberger Landesmuseums und war hier unter anderen mit den Bregenzer Funden des römischen Brigantium konfrontiert.

1913 wurde Merhart Assistent an der Prähistorischen Staatssammlung München. Der Erste Weltkrieg verhinderte jedoch eine fruchtbare Tätigkeit. Merhart geriet schon Ende 1914 in Gefangenschaft und verbrachte fünf Jahre in sibirischen Lagern. Erst nach Ende des Krieges konnte er im Museum der Geographischen Gesellschaft in Krasnojarsk anderthalb Jahre tätig werden. Er nutzte die Gelegenheit, sich mit sibirischer Urgeschichte zu beschäftigen. Nach seiner Rückkehr nach Österreich verarbeitete er diese Studien zu einer 1924 in Innsbruck eingereichten Habilitation. Da Innsbruck keine Perspektive für ihn bot und er sowohl den Lehrauftrag als auch die Fachdirektion für Vorgeschichte am Museum Ferdinandeum Innsbruck - ebenso wie die Abteilungsleitung am Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz - unbezahlt versah, ging er 1927 als Direktorialassistent an das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz. 1928 wurde er auf den Marburger Lehrstuhl berufen.

Während der NS-Zeit geriet Merhart in Gegnerschaft zu Hans Reinerth, der als parteiamtlicher Beauftragter der NSDAP für Vorgeschichte agierte, sowie zu den örtlichen SS-Stellen in Nordhessen. Obwohl Merhart nicht prinzipiell gegen den Nationalsozialismus eingestellt war, führte dies dazu, dass sich der Sicherheitsdienst der SS auf die Position stellte, Merhart sei weltanschaulich als Professor im nationalsozialistischen Staat nicht tragbar. Da er seinen Sohn auf Wunsch seiner verstorbenen Frau auf dem Jesuitengymnasium Stella Matutina, das er selbst auch besucht hatte, erziehen ließ, wurde ihm "politischer Katholizismus" vorgeworfen. Heinrich Himmler veranlasste daraufhin die Entlassung Merharts, der einen Rücktritt von seinen Ämtern selbst aufgrund der vielfältigen Konflikte vorgeschlagen hatte. Himmler erklärte sich jedoch auf Vermittlung des Merhartschülers Werner Buttler bereit, eine "ehrenhafte Pensionierung" zu akzeptieren; diese erfolgte 1942. Zusätzlich erhielt Merhart von der kulturpolitischen Organisation der SS, dem "Ahnenerbe", einen Forschungsauftrag zur "Vorgeschichte der Alpen", den er vom Stammsitz seiner Familie in der Schweiz aus durchführen sollte. Durch den Kriegsbeginn war es Merhart allerdings nicht möglich, in die Schweiz auszureisen, so dass er in Marburg verblieb. Eine Aktivierung für das SS-"Ahnenerbe" in Serbien lehnte er 1942 ab. 1943/44 unternahm er jedoch im Auftrag des "Ahnenerbes" Reisen nach Südtirol, da er in die dortige Vorgeschichtsarbeit der SS eingegliedert werden sollte. Lediglich das Kriegsende verhinderte dies.
1944 übernahm Merhart zudem die kommissarische Leitung der Römisch-Germanischen Kommission in Frankfurt, da alle Verantwortlichen zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. In dieser Funktion organisierte er die Löschung und Räumung des RGK-Gebäudes nach seiner Zerbombung.
Von 1945 bis 1949 vertrat Merhart seinen Nachfolger auf dem Lehrstuhl Wolfgang Dehn, der zunächst in Kriegsgefangenschaft war und dann ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen musste. Eine Reaktivierung als Professor lehnte Merhart ab, insbesondere, da er als Spätfolge einer Malariaerkrankung aus der Sibirienzeit langsam erblindete. Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte Merhart auf dem Stammsitz seiner Familie in der Schweiz, der Bernegg.

In der Nachkriegsrezeption wurde Merhart insbesondere von seinem Schüler Georg Kossack als ein "Beispiel für Widerstand" gegen das NS-Regime verklärt. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass dies nicht haltbar ist; Merharts Lebensweg ist vielmehr als ambivalent zu beschreiben.