Binsfeld, Wolfgang (1928-2011)

Als bestimmend für den Lebensweg von Wolfgang Binsfeld erwies sich der Besuch des humanistischen Gymnasiums, zunächst noch im westfälischen Dortmund, dann ab 1946 in Neuss. Hier wurde ihm das katholische Rheinland zur eigentlichen Heimat. Die kritische Distanz der Eltern zum nationalsozialistischen Regime vermittelte sich dem Sohn, konnte aber nicht verhindern, dass auch er als Angehöriger des Jahrgangs 1928 noch im Januar 1944 als Luftwaffenhelfer eingezogen wurde.
Die durch das Gymnasium geförderte besondere Neigung für die alten Sprachen und die Geschichte der Antike waren schon für den Schüler Anregung genug, sich auch für die Archäologie der Römer im heimatlichen Neuss zu interessieren und auf den Spuren von Constantin Koenen eigene Studien zu betreiben. Es war also nur folgerichtig, dass er sich ab dem Sommersemester 1949 an der Universität Bonn in den Fächern Klassische Archäologie und Klassische Philologie einschrieb. Seine wichtigsten Lehrer waren der Archäologe Ernst Langlotz und der Bauforscher Armin v. Gerkan sowie der Graezist Hans Herter und der Latinist Ernst Bickel. Es ist kennzeichnend für Binsfelds weitgespannte Interessen, dass er auch Vorgeschichte, Alte Geschichte und Philosophie hörte.
Besonders stolz war er auf seine Mitgliedschaft als sodalis des Bonner Philologischen Seminars, in dessen Hauptseminar er aufgenommen worden war mit einer lateinisch verfassten archäologisch-philologischen Studie über die auf griechischen Vasen überlieferten Namen von Amazonen. Nicht weniger stolz blieb Binsfeld zeitlebens auf seine Zugehörigkeit zum philologischen Verein des „Bonner Kreises“, in dem sich seit 1854 die Studenten der Altphilologie zusammenfinden. Dem Bonner Kreis hat er für eine ungedruckt gebliebene Festschrift eine für ihn bereits typische ebenso knappe wie vollständige Zusammenstellung antiker Schriftstellen zu Selbstaussagen griechischer Künstler über eigene Werke, ihre Zeitgenossen oder Vorgänger.
Zum Sommersemester 1953 wechselte er an die Universität zu Köln, um seine Ausbildung bei dem Klassischen Archäologen Andreas Rumpf fortzusetzen. 1955 erfolgte die Promotion mit einem Thema über Karikaturen in der antiken Kunst, das den Lehrer nicht weniger interessierte als den Schüler. Mit seinem Erstlingswerk gelang es ihm, in einer vorbildlichen philologisch-antiquarischen Studie die literarisch überlieferten Grylloi mit missproportionierten Grotesken der griechischen und römischen Zeit zu identifizieren.
Es war Wolfgang Binsfeld vergönnt, in seinem Wunschberuf Fuß zu fassen. Zunächst erhielt er im Frühjahr 1956 einen Werkvertrag am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz zur Überprüfung der Kriegsverluste, wechselte dann nach Köln an das Römisch-Germanische Museum zur Mitarbeit an der Sonderausstellung „Kunst und Leben der Etrusker“, der ersten bedeutsamen archäologischen Ausstellung der Nachkriegszeit in Deutschland. Das Kölner Museum mit seinen Sammlungen und Ausstellungen sowie der Zuständigkeit für die Bodendenkmalpflege im Stadtbereich blieb zunächst seine berufliche Heimat. Nach dem Ausscheiden von Horst Ulbo Bauer wurde er 1956 als Assistent eingestellt und später zum Kustos ernannt.
Das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Institutes führte Binsfeld und seinen Mitstipendiaten Heinz Cüppers aus Trier 1957/58 nach Frankreich und Italien, Nordafrika und den Nahen Osten, weiter in die Türkei und nach Griechenland.
Zum 1. September 1965 wechselte er als Nachfolger von Erich Gose an das Rheinische Landesmuseum Trier. Die Römerstadt an der Mosel wurde ihm zur Erfüllung seiner beruflichen Wünsche. Nur wenige Tage nach seinem Dienstantritt begann am 5. September 1965 in Trier der VII. Internationale Kongress für Christliche Archäologie, einer Thematik, der schon in Köln, aber noch mehr in Trier seine besondere Aufmerksamkeit galt.
Zu den Aufgaben Binsfelds am Landesmuseum gehörte zunächst die Archäologie der Römerzeit im Trierer Land außerhalb der Stadt, wo unter seiner Leitung in den 1960/70er Jahren mit großer Sorgfalt und Umsicht planvolle Ausgrabungen in Heiligtümern und Siedlungen wie in Heckenmünster, Belginum und Bitburg durchgeführt wurden. Ihm oblag aber auch der Alltag des archäologischen Landesdienstes mit seinen zahlreichen Fundmeldungen und Notgrabungen, den er sich mit dem Vor- und Frühgeschichtler Siegfried Gollub teilte, mit dem er schon am Kölner Museum zusammengearbeitet hatte. Dazu trat seit den 1980er Jahren zunehmend der Innendienst mit Verwaltungsaufgaben und der wissenschaftlichen Erschließung der Sammlungen. Angestoßen durch das von Reinhard Schindler initiierte Programm der archäologischen Trier-Publikationen entstand unter seiner Leitung in einer mehrjährigen Kampagne des Museumsteams eine vollständige Dokumentation aller römischen Steindenkmäler und -inschriften, aus der 1988 der zusammen mit Karin Goethert und Lothar Schwinden vorgelegte Katalog der römischen Götter- und Weihesteine erwuchs. Nicht weniger befasste er sich mit der römischen KIeinkunst und der überaus vielfältigen Keramik samt den Terrakotten. Als Leiter des Münzkabinetts war er von 1973 bis 1992 Deputierter des Landes Rheinland-Pfalz in der Numismatischen Kommission der Bundesrepublik Deutschland.
Bezeichnend für seine wissenschaftliche Reputation sind zwei berufliche Angebote der früheren Arbeitsstätten: 1968 lehnte er es ab, als Direktor der Römischen Abteilung des Römischen-Germanischen Zentralmuseums nach Mainz zu gehen und 1971 nahm er die angebotene Position des Direktors des Römisch-Germanischen Museums in Köln nicht an. Aus familiären wie fachlichen Gründen verzichtete er auf diese Karrierechancen, hätte er doch zudem seine geliebte wissenschaftliche Arbeit zugunsten der Verwaltung aufgeben müssen. Aber auch in Trier musste er in dieser Hinsicht Kompromisse machen. In der Nachfolge von Wilhelm Reusch war er als Hauptkustos von 1973 bis zum Eintritt in den Ruhestand 1992 Stellvertreter des Direktors, zunächst von Reinhard Schindler, dann ab 1977 von Heinz Cüppers.
Für das Wintersemester 1977/78 erhielt er einen Lehrauftrag im Fach Klassische Archäologie an der Universität Trier, der 1979 zur Berufung als Honorarprofessor führte. Im Rahmen der Lehraufträge sind zahlreiche Studenten von ihm in die Archäologie der westlichen Provinzen des Imperium Romanum unter besonderer Berücksichtigung des Trevererraumes eingeführt worden. Aus dieser Verbindung mit der Universität entstand eine kleine Serie von Dissertationen und Magisterarbeiten in der Archäologie, aber auch der Alten Geschichte.
Anhand der Kölner und insbesondere der Trierer Sammlungen hat Wolfgang Binsfeld zu allen Bereichen der Provinzialrömischen Archäologie und ihrer materiellen Überlieferung wissenschaftlich fundierte Beiträge geleistet. Als umfassend gebildeter Gelehrter mit genauem Blick für die vielfältige Überlieferung der Antike und hohem wissenschaftlichen Anspruch an sich selbst war es für ihn wesentlich, durch eigene Kenntnis mit den Disziplinen der klassischen Altertumswissenschaften in Theorie und Praxis vertraut zu sein. Er beherrschte die Methoden der Archäologie in der Feldarbeit wie am Schreibtisch ebenso wie die der Numismatik und Epigraphik, der Klassischen Philologie und der Alten Geschichte. Nicht zuletzt verstand er es, diese aufgrund seiner sprichwörtlichen Material- und Literaturkenntnis in ihrem Aussagewert zu kombinieren. Bereits in der Dissertation hat er mustergültig vorgeführt, zu welchen Ergebnissen die wechselseitige Auswertung von antiken Schriftquellen und archäologischen Denkmälern führen kann. In der eigenen Praxis dieser Methodik erweist sich der nachhaltige Einfluss seines Lehrers Andreas Rumpf, was in Binsfelds lakonischem Diktum seinen Widerhall fand: „Besser methodisch irren, als unmethodisch recht haben“.
Ebenso vielfältig wie zahlreich sind die Themen, mit denen Binsfeld sich als wissenschaftlicher Autor befasst hat. Die Steindenkmäler mit ihren Skulpturen und Inschriften boten die Gelegenheit, kulturhistorischen Zusammenhängen im Alltagsleben, Totenbrauchtum und in der Religion nachzuforschen. Einen geradezu ‚kriminalistischen Spürsinn‘ konnte er bei der Rekonstruktion fragmentarischer Inschriften entfalten. Münzen haben ihn nicht zuletzt interessiert wegen ihrer Eigenschaft, archäologische Beobachtungen zeitlich einzuordnen. Bei Münzschätzen galt seine besondere Aufmerksamkeit der Überlieferungsgeschichte. Nicht zuletzt faszinierte ihn die Entdeckung der Trierer Antike seit den Humanisten der Renaissance über die frühen Historiker wie Alexander Wiltheim, Christoph Brouwer und Jakob Masen bis ins 19. Jahrhundert mit den Aktivitäten der Gesellschaft für Nützliche Forschungen. Als sorgfältigem Ausgräber war ihm die Besiedlungsgeschichte des Trierer Landes in der Römerzeit ein besonderes Anliegen. Von 1962-1991 war er wesentlich an der Abfassung der archäologischen Fundchroniken in den Trierer Jahresberichten beteiligt.
Aus diesem Themenspektrum entstand über ein halbes Jahrhundert lang eine Fülle lehrreicher Abhandlungen in dem binsfeld-typischen Stil. Bei tiefschürfendem Gehalt sind sie im Umfang gewöhnlich auf ein Minimum verkürzt. Ausführlichkeit in der Darstellung war seine Sache nicht, vielmehr pflegte er in Kenntnis des großen Ganzen die Reduktion auf das Wesentliche. Binsfelds geschliffene "Miniaturen" mit ihren scharfsinnigen Beobachtungen gelten als wahre Kabinettstücke altertumswissenschaftlicher Gelehrsamkeit. Es ist bezeichnend für ihn und erklärt zugleich vieles, dass sein liebster Arbeitsplatz in der Bibliothek war.
Wolfgang Binsfeld war ausgezeichnet mit dem Frohsinn des Rheinländers, einer heiteren Lebensart und nicht zuletzt einer angeborenen Erzählfreude. Sein origineller Witz war ebenso bekannt wie seine belesene Schlagfertigkeit und seine höflichen Umgangsformen. Seine persönliche Bescheidenheit stand auf dem Fundament eines tief verwurzelten christlichen Glaubens. Vor dem Hintergrund der Altertumswissenschaft verstand er vom Christentum mehr als mancher studierte Theologe. Der ihm persönlich wie fachlich verbundene Monsignore Franz Ronig charakterisierte ihn in der Traueransprache als einen „homo pius“ im altrömischen Sinne, der seinen Pflichten gegenüber Gott und den Menschen gerecht geworden sei, in der Familie wie im Beruf, und der in seiner Wissenschaft keinen Neid kannte.