Kutzbach, Friedrich (1873-1942)

Der aus einer Trierer Kaufmannsfamilie stammende Friedrich Kutzbach zeigte schon als Schüler am humanistischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Interesse an den heimischen Baudenkmälern und ihrer Erforschung. Es scheint, dass sein Großonkel mütterlicherseits, der Domkapitular Franz Xaver Boner (1801-1883), ein solches Kunstverständnis bei dem heranwachsenden Knaben gefördert hat. Noch vor dem Abschluss des Architekturstudium an den Technischen Hochschulen in Aachen und Berlin hat Kutzbach sich selbst in dieser Richtung geäußert: „Was ich aber möchte, das weiß ich ganz genau: an alten Bauten der Kunst herumarbeiten und der Vorfahren Erbe klarlegen; den jetzigen Bauten Liebe und Verständnis für die alte Tüchtigkeit einflößen; für die Würdigung der Denkmäler sorgen“ (Vogel 1943).
Mit dem Kenntnisstand des fortgeschrittenen Studenten befasste er sich schon 1897 mit dem Aufmessen historischer Bürgerhäuser in Trier und publizierte im folgenden Jahr darüber. Er entwickelte bereits Leitgedanken seines späteren denkmalpflegerischen Wirkens: jedes vom Untergang bedrohte Bauwerk solle zeichnerisch aufgenommen, detailliert beschrieben und fotografisch dokumentiert werden. 1898 war er Mitbegründer der städtischen Kommission zur Aufnahme alter Trierer Häuser, aus der 1904 eine Kommission für Denkmalpflege erwuchs. Ihr Schwerpunkt lag auf dem bürgerlichen Wohnhaus und war der Beginn einer Denkmälerinventarisation.
Nach Abschluss des Studiums wurde Kutzbach 1902 preußischer Baubeamter. Als Regierungsbauführer und -meister war er in den ostpreußischen Provinzen Schlesien und Posen tätig und mit Bauprojekten in Ratibor, Birnbaum, Posen und Oppeln befasst. Die Verbindung zu seiner Heimatstadt riss dabei nicht ab, was sich an zahlreichen Beiträgen erkennen lässt, die er insbesondere zu gotischen und späteren Bürgerhäusern in den Trierer Tageszeitungen und Geschichtszeitschriften publizierte. 1914 kehrte er aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nach Trier zurück. Im Jahr darauf wurde er in den Ruhestand versetzt und schied unter Verleihung des Titels „Königlicher Baurat“ aus dem preußischen Staatsdienst aus.
Dies bedeutete aber keinesfalls das Ende seiner Laufbahn: vielmehr war es für die Trierer Baudenkmäler der Beginn der „Ära Kutzbach“. Mit seinem Wirken trat das mittelalterliche Trier mit seinen Bürgerhäusern, Kirchen- und Klosterbauten aus dem Schatten der bislang dominierenden römischen Baudenkmäler. Zunächst ohne öffentlichen Auftrag, setzte er seine bisher schon als Privatgelehrter betriebenen gelegentlichen baugeschichtlichen Forschungen an mittelalterlicher und neuzeitlicher Architektur in umfassender Weise fort. Von 1915 an beteiligte er sich an Ausgrabungen des Provinzialmuseums im Bereich des Klosters St. Matthias, deren Leitung ihm ab 1916 oblag. Im gleichen Jahr übernahm er in Abstimmung mit dem Provinzialmuseum Ausgrabungen in St. Maximin, bei der bis 1919 wie in St. Matthias frühchristliche und mittelalterliche Baubefunde und Gräber dokumentiert werden konnten. Die Grabungen in St. Maximin führten auch zur Entdeckung der karolingischen Krypta und ihrer Wandmalereien.
1921 wurde Kutzbach von der Stadt Trier zum städtischen Konservator berufen, wohl nach dem Vorbild von Köln, wo mit Friedrich Carl Heimann bereits seit 1913 ein solches Amt bestand. Seine Privatinitiative zur Erhaltung der historischen Bauwerke oder zumindest ihrer Dokumentation durch Fotographie und Zeichnung wurde damit zur amtlichen Aufgabe. Als leidenschaftlicher Bauforscher befasste Kutzbach sich folgerichtig auch mit Fragen der Rekonstruktion verlorener Befunde und dem Wiederaufbau von Architektur. Als seine größte Leistung gilt die Rettung des romanischen Simeonstifts an der Porta Nigra, des ältesten Stiftsgebäudes mit zweigeschossigem Kreuzgang in Deutschland. Der schon 1918 von der Stadt gefasste Beschluss zum Abriss der völlig verwahrlosten Gebäudereste wurde dank Kutzbachs beharrlichem Drängen nicht umgesetzt. Auf der Grundlage seiner Rekonstruktionsvorschläge erfolgte ab 1936 tatsächlich die Instandsetzung und neue öffentliche Nutzung. In der Nachkriegszeit wurden sogar seine Vorstellungen, hier das Städtische Museum einzurichten, verwirklicht.
Weitere herausragende Beispiele der Verbindung seiner Bauforschungen mit der Wiederherstellung von Denkmälern stellen die mittelalterlichen Wohntürme Triers dar, vor allem der romanische Frankenturm und das gotische Dreikönigenhaus. Im Zuge denkmalpflegerischer Maßnahmen wurden eine ganze Serie von historischen Bauwerken im Bestand gerettet und zumindest in Teilen wieder aufgebaut, teils auch angepassten Nutzungen zugeführt: neben Bürgerhäusern auch Kapellen und Kirchen, sogar ganze Häuserfronten wie die Fachwerkbauten am Hauptmarkt.
Zunächst noch auf sich allein gestellt, erhielt Kutzbach 1926 in dem der Architekten Karl Delhougne einen kongenialen Mitarbeiter. Im Rahmen einer intensiven Stadtbildpflege entstanden als Gemeinschaftswerke überaus detailreiche zeichnerische Aufnahmen einer Fülle von Baudenkmälern. Ihr wissenschaftlicher und städtebaulicher Wert sollte sich angesichts der folgenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit noch als äußerst wertvolle Dokumentation der Verluste erweisen. Erst auf diesen Grundlagen war der exemplarische Wiederaufbau der gotischen Steipe am Hauptmarkt, des ältesten Trierer Gemeindehauses, 1969 überhaupt möglich.
In Fortsetzung seiner bauarchäologischen Untersuchungen und Ausgrabungen in St. Matthias und St. Maximin war Kutzbach auch in den mittelalterlichen Klosterbezirken von St. Martin (1934), St. Marien (1933-1934) und St. Irminen (1933) tätig. Er befasste sich auch mit der Römerbrücke (1931) und verschiedentlich mit der Porta Nigra sowie mit dem Dom und Liebfrauen. Die aus seinen Felduntersuchungen resultierenden zeichnerischen Aufnahmen bieten die Darstellung des Gebäudezustands in Grund- und Aufrissen, geben Einblicke in die baugeschichtlichen Phasen, vielfach mit ausgewählten Architekturteilen, Hinweisen zur Bautechnik und anderen Details, und bieten oft Rekonstruktionsvorschlägen. Seit Mitte der 1920er Jahre war Kutzbach im Rahmen der rheinischen Denkmälerstatistik an der Bearbeitung der Trierer Kirchen und Klöster sowie der unpubliziert gebliebenen Profanbauten beteiligt, wozu er mit seinen Untersuchungen und Dokumentationsarbeiten maßgebliche Grundlagen liefern konnte.
Eine besondere Aufgabe stellte sich Kutzbach mit den von ihm zusammen mit dem Diplom-Ingenieur Kurt Nagel von 1928 bis 1933 durchgeführten Ausgrabungen und Bauuntersuchungen in der Stiftskirche von Pfalzel bei Trier. Ihre von der Gesellschaft für Nützliche Forschungen getragenen und mit Lotteriemitteln finanzierten Forschungen führten zur Entdeckung des sogenannten Palatiolums, eines befestigten spätantiken Palastes und späteren Klostergebäudes mit zahlreichen römischen und mittelalterlichen Befunden und Fundstücken. Auf Kutzbachs irriger Einschätzung geht der von ihm zunächst verfolgte Zeitansatz ins Frühmittelalter zurück.
Mit der Berufung zum städtischen Konservator war Kutzbach im Nebenamt auch Leiter des Moselmuseums, das am Hauptmarkt in der Steipe und dem benachbarten Roten Haus sehr beengt untergebracht war. Hier befanden sich auch die Büros und die Arbeitsunterlagen. Das Museum bot neben einer volkskundlichen Abteilung eine Präsentation der Stadtgeschichte. Kutzbach entwickelte Pläne, das Moselmuseum zu einem Heimatmuseum des Trierer Raumes auszubauen. Dabei schlug er vor, alle musealen Sammlungen in Trier seit dem Jahr 1000 in einem historischen Gebäude zusammenzuführen. Seine Initiative blieb ohne Erfolg.
Zum 1. Juli 1936 wurde Kutzbach zusammen mit dem Techniker Delhougne aufgrund der zwischen der Stadt Trier und der Provinzialverwaltung getroffenen Vereinbarung einer Arbeitsteilung vor bzw. nach dem Jahr 1500 von der Stadt in den Dienst der Provinzialverwaltung übernommen und dem Landesmuseum zugewiesen. Kutzbach war weiterhin für die nachrömische Bauforschung sowie der damit verbundenen Fragen der Denkmalpflege zuständig und konnte seine bisherigen Forschungsarbeiten fortführen. Zudem besaß er den Status als Vertrauensmann der provinzialen Denkmalpflege und arbeitete denkmalfachlich mit dem Provinzialkonservator zusammen.
1936 bis 1939 wurden die während des Ersten Weltkriegs durchgeführten Ausgrabungen in St. Maximin wieder aufgenommen und dabei auch die seinerzeit vermauerten karolingischen Wandmalereien aus der Krypta geborgen. Wenig bekannt ist, dass Kutzbach beim 1936 begonnenen Umbau des Kurfürstlichen Palastes zum zentralen Trierer Großmuseum, in dem alle Kunstsammlungen in Trier zusammengeführt werden sollten, sich intensiv mit der Baugeschichte insbesondere des Rokokobaues und des Niederschlosses befasst hat und dabei auch eine Reihe von Entdeckungen im Bereich der anstoßenden spätantiken Palastaula (Basilika) machen konnte (Zahn 1958). Nach dem Eintritt in den Ruhestand Ende März 1939 beendete er seine Tätigkeit im Landesmuseum nach Ablauf eines Werkvertrags im September 1939, befasste sich aber als Privatgelehrter weiter mit seinen Bauforschungen.
Kutzbach verstarb am 21. Dezember 1942 in seinem Geburtshaus „Zum weißen Kreuz“ in der Neustraße 91, einem gotischen Bürgerhaus, das seiner Familie als Geschäfts- und Wohnhaus gedient hatte. Nur ein halbes Jahr später ehrte die Stadt Trier sein Andenken durch die Umbenennung der bisherigen Simeonstiftstraße in Kutzbachstraße – ein beziehungsreicher Beschluss in Anbetracht dessen, dass die Rekonstruktion des benachbarten Simeonstifts als Kutzbachs größte denkmalpflegerische Leistung gelten darf. Nach einer Initiative aus dem Kreis der Gesellschaft für Nützliche Forschungen und des Vereins Trierisch wurde 1952 im oberen Kreuzgang des Simeonstifts eine Gedenktafel zur Erinnerung an Kutzbach angebracht – seinerzeit angesehen als „einer der größten Wohltäter Triers“ (Irsch 1952).
Friedrich Kutzbach gilt nach wie vor als Personifizierung der trierischen Denkmalpflege und Bauforschung. Er war ein Idealist, bei dem der Beruf des Architekten mit der Berufung als Denkmalpfleger eine glückliche Verbindung einging. Aus dieser Konstellation ergab sich auch eine vorbildliche Arbeitsteilung mit dem Provinzial- bzw. Landesmuseum. Kutzbach verstand sich selbst als Architekt und Bautechniker, auch als Ausgräber, aber nicht als Archäologe oder Kunsthistoriker. Die Bauforschung und damit die Kenntnis der Arbeitsweisen der alten Baumeister galt ihm als wesentliche Voraussetzung einer erfolgreichen Denkmalpflegepraxis.
Über seine Beobachtungen und Forschungen hat Kutzbach selbst seit seiner Studentenzeit regelmäßig Aufsätze in den historischen und archäologischen Zeitschriften – Trierisches Archiv, Trierische Chronik, Trierische Heimat, Trierer Zeitschrift sowie den Jahresberichten des Provinzialmuseums –publiziert, daneben auch immer wieder in Zeitungsartikeln die Öffentlichkeit informiert. Die von ihm geplante umfangreiche Monographie zu den Ergebnissen seiner Forschungen an Bürgerhäusern, Kirchenbauten und Klöstern mit ausführlichen Erläuterungen zu Bauaufnahmen und Rekonstruktionen hat er nicht mehr vorlegen können. Vieles ist – wenn auch in knapper Form – vorab auf Grundlage der Kutzbach’schen Forschungen erschienen. Dazu gehören zunächst die Trier betreffenden Kapitel im Standardwerk von Hans Vogts über „Das Bürgerhaus in der Rheinprovinz“ (1929). Der große Inventarband der amtlichen Denkmälerstatistik zu den „Kirchlichen Denkmälern der Stadt Trier“ (1938) beruht in den archäologisch-bauforschenden Teilen wesentlich auf den von Kutzbach erarbeiteten Plänen, Beobachtungen und Aufzeichnungen, auch wenn der endgültige Text – wie bei der Publikation über die Wiederherstellung des Simeonstifts – von dem Kunsthistoriker Hermann Bunjes verfasst wurde.
Die detaillierte archivarische Erschließung des ebenso umfangreichen wie komplexen wissenschaftlichen Nachlasses von Kutzbach zu den Trierer Baudenkmälern stellt noch immer ein ausgesprochenes Desiderat dar – sie wäre die notwendige Grundlage für eine sachgerechte Würdigung seiner denkmalpflegerischen Pionierleistungen.