DW_369 Apollo (Mengs, Anton Raphael)

Meine 2011 mit einer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme begründete Zuweisung des früher Guido Reni zugeschriebenen Fragments an Mengs stützt sich in erster Linie auf stilistische Argumente. Der volle rundliche Kopftypus, die Gesichtsproportionen mit der Betonung der breiten Nasenwurzel und den runden und sehr plastischen Augen finden enge Parallelen in der kartonartigen Detailstudie für den Kopf der Gloria im Tondo „Gloria et Premium“ im Deckenspiegel der Galerie Albani [DW_306/VZ_02]. In abgewandelter Form fand dieser Kopftypus aber auch für männliche Figuren Verwendung, wie der Vergleich mit der Detailstudie für den Kopf des Mars in Madrider Fresko der Götterversammlung zeigt [DW_296/VZ_03] zeigt.
Bei dem Fragment handelt es sich um ein männliches Gesicht, das sich aufgrund der Locken und des Lorbeerkranzes eindeutig als Apollo bestimmen lässt und das chronologisch und stilistisch in die Zeitspanne zwischen 1760 und 1768 einzuordnen ist. Da der Kopf vom Putzgrund abgelöst und bildmäßig in eine ovale Form eingepasst wurde, ist der ursprüngliche figurale Kontext nur hypothetisch rekonstruierbar.
Mit der Einpassung in das neue Format wurde der Kopf stärker in die Diagonale gedreht, wie sich an der angedeuteten linken Schulterlinie ablesen lässt. Korrigiert man dies durch eine Drehung nach links, so wird die sehr enge motivische Übereinstimmung mit dem Kopf des Apollo in der Nachzeichnung von Joseph Schöpf [DW_304/VZ_03] evident. Diese Zeichnung, die den nicht erhaltenen Karton [DW_304/VZ_01 und DW_304/VZ_03] für den Parnass der Villa Albani bildlich überliefert, entstand in Rom nach 1777, als Schöpf das Atelier von Mengs frequentierte. Gegenüber dem früheren Wiener Entwurf [DW_304/VZ_02] wurde in der durch die Nachzeichnung dokumentierten Phase des Arbeitsprozesses unter anderem der Kopf des Apollo verändert. Das Fragment entspricht dieser Arbeitsphase, wie sich auch an der Sonnenaureole zeigt, die als gelber Grund den Kopf hinterfängt. Die formalen Differenzen zwischen dem Stil des Zeichners und Mengs‘ Stil zeigen sich an den Figurenproportionen und den stark gelängten Gesichtern in der Zeichnung.
Tatsächlich erfolgten nach der Fertigstellung des Kartons, die durch einen Brief Winckelmanns vom 9. August 1760 datierbar ist, weitere formale und ikonographische Veränderungen (Roettgen 1999, S. 399-401). Deren wichtigste war der Verzicht auf die Sonnen-Aureole, die in der Zeichnung von Schöpf Apollos Haupt hinterfängt und ihn als Sonnengott Helios ausweist. Wendet er seinen Blick in der Zeichnung im Modus der Inspiration nach oben, so richtet er sich im Deckenbild auf die rechts neben ihm stehende Muse Kalliope, was seine Rolle als Musenführer veranschaulicht. Es war diese auch inhaltlich bedeutungsvolle Modifikation, die zur Abnahme des bereits ausgeführten Kopfes geführt haben muss. Der Vergleich zwischen dem abgenommenen Fragment und dem ausgeführten Fresko lässt die geänderte Blickrichtung der Augen deutlich erkennen.
Die Gründe dafür, dass das abgenommene Fragment als autonomes Bild konserviert wurde, sind zwar nicht bekannt, aber sie erklären sich aus der sensationellen Resonanz, die das Deckenbild bei den Zeitgenossen fand.