Einblicke

Mithilfe der geschilderten digitalen Instrumentarien haben sich neue Perspektiven und Erkenntnisse ergeben. Der folgende Überblick resümiert die über die Einzelwerke hinausgehenden Ergebnisse, die sich aus und während der Arbeit ergaben. Die technische Voraussetzung für die über die reine Datenerfassung hinausgehende Vertiefung des Diskurses ist die in der Struktur der Datensätze angelegte Kategorie „Freitext“, die Kommentare zu unterschiedlichen Aspekten ermöglicht.

Zweitexemplare, Wiederholungen und Kopien

Eine Kategorie von Werken, deren Beurteilung bisher nur bruchstückhaft möglich war und die bildlich kaum dokumentiert werden konnten, sind die Wiederholungen und Kopien einzelner Werke, an denen sich der Verlauf der Rezeption des Mengs’schen Oeuvres von Gemälden anschaulich manifestiert, und zwar nicht nur im Bereich der offiziellen Bildnisse, sondern auch der Selbstbildnisse und einzelner Werke. Durch die Möglichkeit, dieses sehr heterogene Material in HeidICON zu sammeln und vorzuhalten, haben sich neue Einsichten und Perspektiven ergeben, die über den Einzelfall hinausgehen. Mit dem Instrumentarium von digitalen Bilderpools eröffnen sich der Kopienkritik, bisher vor allem ein Arbeitsfeld klassischer Archäologen und für die Kunstwissenschaft eher marginal, Perspektiven, die für „ikonische“ Werke – etwa Raffaels Madonna della Seggiola – nutzbar gemacht werden könnten. Dies würde dazu führen, dass die Kopien nicht mehr vorrangig als letztlich beliebige und wertlose Vervielfältigungen von mehr oder weniger berühmten Originalen mit Kultstatus gesehen würden, sondern als materielle Zeugnisse einer Rezeptionsgeschichte, die eine andere Sprache spricht als die Textquellen.

Geschärft und neu justiert wird auch der Blick auf die „Zweitversionen“, deren Anteil am Werkbestand sich innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte deutlich erhöht hat. Begünstigt durch die Errungenschaften der digitalen Fotografie generieren sich aus dieser Gemengelage neue Einblicke in die Werkstattpraxis und in Mengs‘ Arbeitsweise. Sein „Geschäftsmodell“ als freier Maler in Hofdiensten steht noch ganz in der Tradition des von einem gut funktionierenden Werkstattbetrieb getragenen Meisters, für den das Kriterium der Einmaligkeit überall da irrelevant ist, wo eine entsprechende Nachfrage vorhanden ist. Das Spektrum der arbeitstechnischen Lösungen reicht hier von der eigenhändigen Zweitversion, die aus Kartons oder Studien nach dem Modell generiert wurde (DW_329, DW_333, DW_338, DW_359, DW_360), über die Kopie mit eigenhändigen Retuschen (DW_164/WK_06, Kat. 153 WK 7), die Reduktion (DW_352) bis zur geringfügig abgeänderten Variante (DW_152/WK_01, DW_345).

Am Ende der Skala stehen die Kopien, von denen einige wohl auch aus der Werkstatt hervorgingen. Die an den Kopien ablesbare Wahrnehmung des Mengs’schen Oeuvres durch die Zeitgenossen und seitens der Nachwelt legt die Gründe für das schnelle Abflauen der Reputation dieses zu Lebzeiten so gefeierten Malers offen, das vor allem den deutschen Kulturraum betraf. Während das römische und das spanische Oeuvre, ebenso wie die Aktzeichnungen, Vorbilder und Vorlagen für die akademischen Etüden der jüngeren Künstlergeneration wurden, die nach Rom pilgerte, um die Werke des berühmten Künstlers zu studieren, lag in Deutschland der Fokus auf den Selbstbildnissen und den Dresdner Pastellen, d.h. Werken, in denen sich Mengs‘ Rolle als Erneuerer und Reformer kaum spiegelt.

Das Amor-Pastell (Kat. 102) und seine Erfolgsgeschichte (WK 1 - WK 96)

Wie kein anderes Werk von Mengs bildet das Nachleben des Dresdner Amor-Pastells die Phasen dieses kollektiven Rezeptionsprozesses ab. Seit Erscheinen des Werkkatalogs hat die Zahl der Kopien nach diesem Werk deutlich zugenommen (DW_102/WK_74 bis WK_115). Einige dieser Kopien sind von so guter Qualität, dass ihre Entstehung im Werkstattbereich wahrscheinlich ist (DW_102/WK_89, DW_102/WK_91, DW_102/WK_94). Eine Variante lässt sich aufgrund ihrer hohen Qualität sogar als eigenhändige Wiederholung bestimmen und gehört in die bisher noch kleine Gruppe der in Öl ausgeführten eigenhändigen Zweitversionen von Pastellen (DW_323, DW_350).

Die Gründe für die Beliebtheit dieses Werks sind der Zusammenhang mit den Putten-Engeln von Raffaels Sixtinischer Madonna in der Dresdener Gemäldegalerie, einem ungebremsten Dauerrenner in allen Techniken der Reproduktion, sowie die universal verständliche Botschaft des Motivs, die Adressaten in allen Schichten erreichte und die unter veränderten medialen Voraussetzungen bis heute andauert, wie der Umstand verdeutlicht, dass eine große deutsche Wochenzeitung jüngst das Motiv als Titelbild für eine Reportage über „Wunder“ verbreitet hat. Conrad Gessner hat dazu 1785 einen aufschlussreichen Kommentar gegeben: „Mengs scheint in seinem Pastell-Bilde, dem bekannten Amor, der so unnachahmlich hold lächelt, indem er die Schärfe seiner Pfeilspitze am eigenen Finger versucht, diese Engelsköpfe (zu erg. von Raphael) sehr studiert zu haben.“ (Gessner Briefwechsel 1801, S. 138). Zum Erfolg des Bildes im 19. Jahrhundert trug auch der Umstand bei, dass sich im Schausaal des Dresdner Kupferstich-Kabinetts, das bis 1856 im Deutschen Pavillon des Zwingers logierte, eine gezeichnete Kopie von Seydelmann (DW_102/WK_92) befand, die einen der beiden Putten aus Raffaels Sixtinischer Madonna zum Pendant hatte. Vor dem Zeitalter der Postkarte, das auch dem Amor-Pastell Tribut zollte, zirkulierten neben Kopien in Öl- und Pastelltechnik Miniaturen, Kupferstiche, Porzellanbilder und Lithophanien. Dabei fällt auf, dass die Qualität mit dem zeitlichen Abstand zum Original abnahm und dass sich das Motiv z. T. bis zur Perversion verselbständigte. Die große Beliebtheit, die das Sujet gerade in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erfuhr, wird durch die Kataloge der Berliner und der Dresdner Akademie-Ausstellungen zwischen 1800 und 1850 belegt. Von diesen Kopien in unterschiedlichen Medien (Roettgen 1999, Kat. 102 WK 13 bis WK 73), lassen sich heute nur noch wenige Werke mit den dort erfassten Namen und Arbeiten in Verbindung bringen (Kat. 102 WK 17, DW_102/WK_73, DW_102/WK_83). Die meisten der in unterschiedlichen Medien dokumentierten Kopien, die von den Katalogen der Berliner und der Dresdner Akademie-Ausstellungen erfasst wurden (Kat. 102 WK 13 ̶ 73), und die z. T. von Autodidakten eingeliefert wurden, sind heute nicht mehr identifizierbar. Nur ein einziges Werk lässt sich bisher mit einem Künstlernamen in Verbindung bringen, dessen Oeuvre kunsthistorischen Rang hat, nämlich Johann Johann Christoph Rincklake (DW_102/WK_83). Er stellte seine Kopie 1797 in Berlin aus und verwendete sie im gleichen Jahr als Vorlage für eine Miniatur, die er seiner Braut als Verlöbnisbild schenkte.

Das Selbstbildnis der Uffizien (Kat. 275) und sein Nachleben

Ein besonderes Kapitel des visuellen Nachruhms betrifft das in den Uffizien aufbewahrte Selbstporträt, das durch Pose und Beiwerk die Botschaft der Erneuerung des Disegno verkündet und damit auf das kunsttheoretische Wirken des Malers Bezug nimmt. Die große Zahl von bildlich dokumentierten Kopien ermöglicht es in diesem Fall, ihre Genese unter die Lupe zu nehmen. So lässt sich eine Art von Stammbaum der Kopien erstellen, d. h. eine Unterteilung in unterschiedliche Typen und ihre Abkömmlinge. Auch wenn die Überlegungen dazu aufgrund der dürftigen Quellenlage und unzulänglichen Dokumentation hypothetisch bleiben müssen, gibt es Anhaltspunkte, die Aufschluss zur Genese der Kopien geben.

Der früheste Beleg für ein zweites Exemplar des Florentiner Porträts ist das Gesuch, das Mengs am 24. Januar 1774 an die Galerieverwaltung in Florenz richtete (Roettgen 2003, S. 550) und in dem er darum bat, das Bild ausleihen zu dürfen, um ein weiteres Exemplar anzufertigen (“per farne un altro esemplare“). Diesem Gesuch gab man unverzüglich statt und so blieben ihm bis zu seiner Abreise von Florenz drei Monate Zeit, um dieses Bild zu malen. Die einzige Version, die in den Gesichtsformen, im Bildausschnitt und im Kolorit genau mit der Florentiner Fassung übereinstimmt, ist DW_275/WK_17, deren Provenienz und Standort nicht bekannt sind. Es ist möglich, dass es sich hier um die 1774 in Florenz entstandene Zweitversion mit Eigenanteil handelt.

Der erste Beleg für die Existenz einer Kopie ist der Brief, den der Maler am 12. Juni 1776 an seinen Schwager Anton von Maron in Rom richtete und in dem er den Kupferstich von Cunego kritisiert. Den Grund für die mangelnde Werktreue des Stiches sieht er darin, dass der Stecher nicht das Original benutzt habe. Da Cunego in Rom arbeitete, muss sich die Vorlage für den Stich dort befunden haben, d. h. eine Kopie, die zwischen 1774 und 1776 ohne Beteiligung oder Revision durch den damals in Madrid weilenden Mengs gemalt worden war. Mengs‘ Kritik zeigt, wie empfindlich er auf die Gefahr der physiognomischen Entstellung durch Kopisten reagierte. Dem Stich lässt sich eine Gruppe von Kopien zuordnen, die sich vom Florentiner Original durch die von Mengs kritisierten gerundeten und weichen Gesichtsformen unterscheidet, sowie durch den seitlich leicht vergrößerten Bildausschnitt und eine größere Höhe (100-104 cm). Dazu gehört auch das 1794 von Rom nach St. Petersburg gelangte Exemplar aus dem Besitz von Johann Friedrich Reiffenstein, das in den Maßen und in kleinen Details vom Original abweicht, aber nach Aussage von Melchior Grimm durch Mengs retuschiert worden war (DW_275/WK_31). Auf ihm basiert die Kopie von Philipp Jakob Becker (1759-1829), der von 1779 bis 1785 in Rom gearbeitet hat (DW_275/WK_09).

Eine im Kolorit abweichende Kopie ist durch den 1784 datierten Nachstich von Sintzenich dokumentiert (DW_275/GR_16), dessen Legende den Freiherrn Carl Theodor von Dalberg (1744-1817) als Besitzer des Bildes angibt. Auf der mehrfarbigen Version dieses Stiches ist der Mantel grau und die Weste blau, während in der Florentiner und der St. Petersburger Version der Mantel goldgelb und die Weste rot sind. Diese Farbvariante, die sich auch in anderen Kopien findet (DW_275/WK_01, DW_275/WK_02, Kat. 275 WK 10, DW_275/WK_13, DW_275/WK_45), geht möglicherweise auf die 1790 von Anton von Maron angefertigte Teilkopie zurück (Kat. 275 WK 27). Auch die signierte Kopie von Friedrich Gotthard Naumann (Kat. 275 WK 8), die während dessen Aufenthalt in Rom (1772-1781) entstand, folgt dieser farblichen Variante. Große Ähnlichkeit mit Naumanns Kopie weist Kat. 275 WK 10 auf, aber auch das von Carlos Espinosa stammende Exemplar der Academia de San Fernando in Madrid (Kat. 275 WK 19) zeigt dieselben physiognomischen und koloristischen Merkmale.

Ein weiterer Ausgangspunkt von Kopien waren die Reproduktionsstiche, von denen nur wenige datiert sind, deren Entstehungsdaten jedoch aus den Lebensdaten der Stecher ungefähr erschlossen werden können. Neben den Stichen von Cunego (1776) und Sintzenich (1784) wurde der seitenverkehrte und auf 1779 datierte Stich von Lips (DW_275/GR_09) zum Ausgangspunkt von Teilkopien, die sich auf Kopf und Büste beschränken. Welche Vorlage Lips benutzt hat, ist nicht feststellbar, da er in der fraglichen Zeit in Zürich für Lavater arbeitete und erst 1782 nach Rom kam. In Format und Auffassung steht seine Arbeit den Teilkopien Kat. 275 WK 37 und DW_275/WK_48 nahe.

Die Kopien des Selbstbildnisses für Bernardo de Iriarte (Kat. 284)

Das Pendant zum Selbstbildnis der Uffizien ist für den spanischen Kulturkreis das für Iriarte gemalte Selbstbildnis, das 1776/77 in Spanien entstand, wo es nach dem Ableben des Malers und dank des Kupferstichs von Salvador Manuel de Carmona (Kat. 284 GR 4) einen hohen Bekanntheitsgrad erreichte. Eine informative Quelle dazu stammt von 1785. In einem Brief, den Bernardo del Campo (+1800), der damalige spanische Botschafter in London, am 5. Mai 1785 an Bernardo de Iriarte in Madrid schrieb, bat er ihn um die Anfertigung einer Kopie des Bildnisses, um den Engländern einen Begriff von dem charaktervollen Antlitz zu geben „que tenia este grande hombre“. Diese Kopie sollte von einem nicht namentlich genannten jungen Burschen (“mozo”) gemalt werden. Ein halbes Jahr später erhielt del Campo am 1. Dezember 1785 aus Madrid die Mitteilung, dass die Kopie, die Cosmé de Acuña inzwischen vollendet habe, exzellent und die beste der zehn bis zwölf Kopien sei, die verschiedene Maler von diesem Bildnis angefertigt hätten („la mejor de las 10 ó 12 que varios Profesores han hecho del mismo retrato“). Dies verdeutlicht die intensive Rezeption und Nachfolge, die dieses Porträt in Spanien fand. Eine weitere Kopie befand sich 1779 im Besitz von Pietro Paolo Giusti in Madrid (DW_284/WK_03) und wurde von diesem als „eccellente“ bezeichnet. Qualitätsmäßig sind unter den bisher bekannten Kopien drei, die dem Original, vor allem in der Wiedergabe der Augenpartie besonders nahestehen (DW_284/WK_09, DW_284/WK_10, DW_284/WK_13) und deren Dimensionen und Proportionen kaum vom Original abweichen. Die Qualität dieser Wiederholungen tritt umso deutlicher hervor, sobald man sie mit dem von Iriarte kritisierten Kupferstich von Salvador Carmona (Kat. 284 GR 4) vergleicht. Die rückseitige Inschrift auf DW_284/WK_10 bestätigt, dass sich dieses Bild im Besitz des schwedischen Malers Louis Masreliez befand, der von 1774 bis 1782 in Rom gelebt hat, d.h. auch dort muss sich ein Exemplar des Porträts befunden haben. Demzufolge könnten einige Wiederholungen des Bildnisses aus der römischen Werkstatt hervorgegangen sein.

Mitarbeiter und Kopisten im Atelier

Eine kleine Gruppe von Kopien des Iriarte-Porträts stammt wahrscheinlich von Mengs‘ Tochter A(n)na Maria Mengs (1751-1792), die seit Ende 1778 als Ehefrau des Kupferstechers Manuel Salvador Carmona in Madrid lebte. Bei ihrer Aufnahme in die Academia de San Fernando legte sie 1790 drei Pastellbildnisse vor, darunter ein nicht mehr nachweisbares Porträt ihres Vaters (Smith 1997, S. 28). Traditionell wird ihr eine Kopie des Iriarte-Selbstbildnisses in Pastell zugeschrieben (DW_284/WK_04), die aufgrund der anderen Technik im Kolorit deutlich vom Original abweicht. Jedoch war sie vor ihrer Eheschließung nicht nur Schülerin ihres Vaters, sondern vermutlich auch eine enge Mitarbeiterin. Wie korrekt sie die Werke des Vaters kopierte, belegt eine bisher unbekannte Zeichnung (DW_348/WK_01). Zur Familienwerkstatt, die den Rückhalt der „Firma“ Mengs in Rom bildete, gehörten zeitweise (1754-1761) außer dem Vater Ismael die Schwestern Julia Charlotte (bis 1756) und Therese Concordia, deren Anteile sich bisher jedoch nicht konkretisieren lassen. Mitglied dieser Familienwerkstatt war von 1756 bis 1779 auch Anton von Maron, dem spätestens nach seiner Heirat mit Therese Mengs (1765), vielleicht aber schon früher die Aufgabe zufiel, das römische Atelier während Mengs‘ Abwesenheiten zu führen und zu beaufsichtigen. Die meisten Produkte der von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt agierenden Werkstatt waren Wiederholungen, darunter wohl auch solche, die in das Stadium zu bringen waren, bevor Mengs deren „rifinitura“ übernahm. Wer von den zahlreichen Malern, die sich in der römischen und in der Madrider Werkstatt um Mengs scharten, ihm auch als Gehilfen zuarbeiteten, ist nicht überliefert. Nicht anders als seine Vorgänger bewahrte er über diese Werkstattgeheimnisse Stillschweigen, aber gelegentlich gelingt es doch, den Schleier des Geheimnisses zu lüften. So hat sich in den letzten Jahren die Liste der namentlich bekannten Kopisten doch etwas erweitert, vor allem in der Gruppe der spanischen Staatsbildnisse (Kat. 131 WK 11, DW_140/WK_01, DW_142/WK_01).

Neue Erkenntnisse zu den römischen Fresken

Eine der positivsten Folgen der durch die Publikationen von 1999 und 2003 bewirkten größeren Aufmerksamkeit für den Maler sind die im Zuge von Restaurierungen durchgeführten maltechnischen Untersuchungen, von denen neben den römischen Deckengemälden auch das Hochaltarbild der Dresdner Hofkirche (DW_69) und eines der Bildnisse Papst Clemens XIII. (DW_158) profitierten. Die Deckenbilder der Villa Albani (Kat. 304-306) präsentieren sich nach der Restaurierung von 2014 in einem Zustand, der nur wenig hinter dem Eindruck zurückbleiben dürfte, der sich den Zeitgenossen im Jahr 1761 darbot (DW_304). Der perfekte Erhaltungszustand ist der länger als ein Jahrhundert währenden räumlichen Unversehrtheit zu danken wie auch dem Rechtsstatus als sorgsam gehüteter Privatbesitz. Das gegenteilige Schicksal war dem Deckenbild der Kirche Sant’Eusebio beschieden (DW_301). Vergessen und verwahrlost, da in einem problematischen Quartier Roms befindlich, hatte eine 1969 hastig und ohne begleitende Untersuchungen durchgeführte „Reinigung“ nahezu die gesamte in Tempera (Seccotechnik) ausgeführte Malschicht eliminiert. Der ganze Schaden wurde erst 2017 offenbar, als sich eine engagierte Kuratorin der römischen Denkmalpflege des Projekts einer wenigstens teilweisen Rettung dieser Ruine annahm, was dank des Einsatzes modernster Analyse- und Restaurierungsverfahren zu einem respektablen Ergebnis geführt hat (Porfiri 2022). Ein wichtiges Resultat beider Restaurierungskampagnen war die Entdeckung, dass der Malputz für beide Fresken nicht aus der damals in Rom gebräuchlichen Pozzolanerde hergestellt wurde, sondern aus weißem Marmorpulver. Damit erhöhte sich die Intensität und die Leuchtkraft der Farben, ein Effekt, auf dem es Mengs in seinen Deckengemälden besonders ankam.

Das dritte der römischen Fresken, die Decke der Stanza dei Papiri in der Vatikanischen Bibliothek, dessen aus Fresko- und Seccotechnik bestehende Malsubstanz gut erhalten ist, wurde 2006 mittels reflektographischer Aufnahmen maltechnisch untersucht. Daraus haben sich neue Erkenntnisse zum Arbeitsverlauf ergeben (s. Casale 2009, DW_307B und DW_307B/VZ_07).

Die Zeichnungen und ihre Techniken

Mit den ca. 140 Blättern, die 1999 erfasst und dokumentiert werden konnten, bleibt die Zahl der selbständigen Zeichnungen weit hinter dem ursprünglichen Bestand des Ateliers zurück. Die jetzt erfassten „Neuzugänge“, darunter sowohl Vorzeichnungen wie eigenständige Studien, ändern an diesem Manko nichts. Unter den letzteren überwiegen die meist eindeutig zuweisbaren Aktstudien und deren zahlreiche Kopien, die den nachhaltigen Einfluss belegen, der von den Originalen ausging, die bis ins 19. Jahrhundert hinein im akademischen Lehrbetrieb - vor allem der Mailänder Akademie – die Funktion von Vorbildern erfüllten. Allgemein lässt sich festhalten, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Zeichnungen von Mengs keine besondere Beachtung und Wertschätzung finden. Das hängt weniger mit ihrer Qualität als mit den unterschiedlichen stilistischen und „kalligraphischen“ Befunden und den daraus resultierenden Problemen der Zuschreibung zusammen. Der Bestand der nicht werkgebundenen Studien, darunter auch Kopien nach kanonischen Vorbildern, bleibt nach wie vor so heterogen, dass diese Unsicherheiten und Schwierigkeiten weiter bestehen. Sie ergeben sich auch daraus, dass zahlreiche Blätter mit alten Aufschriften versehen sind, die den Namen des Malers in formalen Varianten als Urheber angeben. Obwohl die meisten von ihnen nachträglich sind, stammen sie zu einem überwiegenden Teil aus dem 18. oder frühen 19. Jahrhundert, d. h. sie basieren auf Informationen, deren Quellen und Urheber heute nicht mehr zugänglich sind. Im Katalog von 1999 habe ich die alten Beschriftungen meistens respektiert, wenn abgesehen vom Sujet der Zeichnung und ihrem Stil die graphologischen Merkmale, der Wortlaut und die in ihnen enthaltene Information vertretbar waren. Auch die Provenienz spielte dabei eine Rolle, so etwa bei dem Konvolut aus dem Besitz von Emilio Santarelli im Gabinetto dei Disegni in Florenz, das ein Sammelsurium von Blättern unterschiedlichster Art enthält. Einige dieser Zuschreibungen müssen nun revidiert werden (EX_DW_Z_37, EX_DW_Z_46-49, EX_DW_Z_82, EX_DW_Z_111).

Die Abwägung, welche der alten Aufschriften und Zuschreibungen zu akzeptieren sind und welche nicht, hängt wesentlich davon ab, ob sich für Blätter in ungewöhnlichem Duktus anderweitig Parallelen finden lassen. Das gilt vor allem für die frühen Zeichnungen, die auch deswegen heterogen sind, weil Mengs in diesen Jahren viel kopiert und experimentiert hat, und zwar sowohl in technischer wie in stilistischer und motivischer Hinsicht. So lässt sich eine kleine Gruppe (Z 75, Z 85, Z 87, Z 102, Z 132, Z 133) mit der vom Vater verordneten Verwendung von Chinatinte in Verbindung bringen, über die Azara berichtet (Azara-Fea 1787, S. XIV). Der Grund dafür war, dass auf diese Weise keine Korrekturen möglich waren. Diese Exerzitien müssen in frühkindlichem Alter erfolgt sein, da sie den ersten Versuchen in Öl- und Miniaturmalerei vorausgingen. Die folgende Phase des Kopierens nach Raffael und den Carracci, antiken Statuetten sowie Studien der Anatomie und der Perspektive war laut Azara mit zwölf Jahren abgeschlossen. Datierte Nachweise für diese Phasen des Studienverlaufs gibt es nicht, aber der Vergleich der kindlichen Bremer Kopie nach dem väterlichen Selbstbildnis (Kat. 270) mit der Dresdner Selbstbildnis-Zeichnung von 1740 und der Händestudie auf dem verso (Z 31) gibt Auskunft über die innerhalb weniger Jahre absolvierte Entwicklung.

Für viele Fragen an die Zeichnungen, die bisher nicht gelöst werden konnten, öffnet die Perspektive der leichteren Zugänglichkeit des Bildmaterials in der Datenbank HeidICON einen Hoffnungsschimmer. Immer mehr Material in weniger bekannten graphischen Sammlungen wird in Form von Digitalisaten zugänglich gemacht, so dass die Möglichkeiten der vergleichenden Betrachtung zunehmen. Deutlich zeigt dies das aus der Sammlung Golyzin stammende Konvolut im Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie in Besançon, das sich als der derzeit größte Bestand an Zeichnungen von Mengs in einer einzigen Sammlung erwiesen hat. Immer wieder ereignen sich jedoch auch im Kunsthandel überraschende Neuentdeckungen, wie die der Vorzeichnung für das Dresdener Pastellbildnis des Vaters (DW_223/VZ_01).

Da die Autopsie nur für einen geringen Teil der Zeichnungen möglich war, referieren die Angaben zu Technik und Material auf der Literatur bzw. die durch die Sammlungen erfassten Daten, wobei es – chronologisch, national und kulturell bedingt - erhebliche Unterschiede gibt. Dementsprechend vielgestaltig ist das Vokabular, das dabei Verwendung findet und das zu übersetzen und zu standardisieren war. So ist der Begriff „Bleistift“ eigentlich nicht korrekt, da neben dem Silberstift vorwiegend Graphit zum Zeichnen verwendet wurde. Dennoch sprach man lange von Bleistift, auch in der kunsthistorischen Praxis, während heute der seit Ende des 18. Jahrhunderts etablierte Begriff „Graphit“ fast durchgängig für die Katalogisierung verwendet wird.

Ähnlich optional sind die Benennungen der für Federzeichnungen verwendeten Tinten: ob es sich wirklich um schwarze Chinatinte oder um braune Sepia handelt, lässt sich oft nur am Original feststellen. Daher geben viele Kataloge heute nur noch die Farbe der Tinte an. Ein weiteres Problemfeld ergibt sich für die mit dem Pinsel aufgetragenen Wasserfarben. Während lange Zeit der Begriff „Aquarell“ oder „aquarelliert“ nur für buntfarbige Blätter oder Partien üblich war, bezeichnet man heute – technisch durchaus korrekt - auch die „Lavierung“ mit grauer, brauner oder schwarzer Tusche als Aquarell. Neben den im 17. und 18. Jahrhundert wegen ihrer Weichheit beliebten grauen bzw. schwarzen Kreidestiften, denen oft Kohle beigemischt wurde, wurde zur Vervollständigung der Modellierung auch gern weiße Kreide verwendet, die nicht die Nachteile des schwarz oxydierenden Bleiweiß besitzt. Dafür hat sich der Begriff „Deckweiß“ etabliert. Kohlestift, mit dem Fadenzähler leicht erkennbar an der kristallinen Struktur, erforderte eine Fixierung ebenso wie die aus Rötelstein (Hämatit) gewonnene rote Kreide, wodurch sich langfristig das Papier verändert.

Zum wichtigsten Material der Zeichnung gehört der „Bildträger“, in den meisten Fällen Papier. Angesichts der heute sehr differenzierten Papierforschung, die sich aus der Erforschung der Wasserzeichen und der besseren Kenntnisse der Papierstrukturen ergeben hat, so dass dadurch Feindatierungen möglich sind, ist die hier verwendete Kennzeichnung der Papiere sehr summarisch. Sie beschränkt sich auf die durch Einfärbung des Papierbreis oder durch die händische Grundierung der Oberfläche des Papiers erzielte Tönung, die oft entscheidend für die Gesamtwirkung ist. Nur gelegentlich sind Angaben zur Struktur des Papiers möglich und sinnvoll. Ein wegen seiner Fragilität und Brüchigkeit problematischer Bildträger ist das geölte Papier („Ölpapier“), das für das Durchpausen verwendet wurde. Sie sind meistens brüchig und stark verbräunt, ebenso wie einige Papiere, dessen starke Vergilbung möglicherweise durch Fixierungen verursacht wurde.

(Steffi Roettgen 12/2021)