Wie kein anderes der Selbstbildnisse ist das in der Galerie der Künstlerbildnisse in den Uffizien aufbewahrte Porträt mit der postumen Rezeptionsgeschichte von Mengs verbunden, die nach seinem frühen Tod (1779) in steiler Kurve nach oben wies, bevor sie nach 1800 ebenso steil wieder abfiel. Die ungewöhnlich große Zahl von Kopien des damals an einem prominenten und von vielen Künstlern besuchten Ort befindlichen Bildnisses, das durch Pose und Beiwerk die Botschaft der Erneuerung des Disegno verkündet (Roettgen 2017, S. 124), erfordert es, sich mit der Genese dieser Kopien genauer auseinanderzusetzen. Auch wenn die Überlegungen dazu aufgrund der dürftigen Quellenlage und schlechten Dokumentation vieler Kopien hypothetisch bleiben müssen, gibt es einige verlässliche Anhaltspunkte, die über die Genese der Kopien Aufschluss geben.
Der früheste Beleg für ein zweites Exemplar ist das Gesuch, das Mengs am 24. Januar 1774 an die Galerieverwaltung in Florenz richtete (Roettgen 2003, S. 550) und in dem er darum bat, das Bild ausleihen zu dürfen, um ein weiteres Exemplar anzufertigen (“per farne un altro esemplare“). Diesem Gesuch gab man unverzüglich statt und so blieben ihm bis zu seiner Abreise von Florenz drei Monate Zeit, um dieses Bild zu malen. Ob er dabei fremde Hilfe in Anspruch nahm, ob das Werk fertiggestellt wurde und was danach mit ihm geschah, ist nicht überliefert. Vielleicht handelt es sich hierbei um das aus dem Besitz Reiffensteins stammende und von ihm retuschierte St. Petersburger Exemplar [DW_275/WK_31].
Der erste Beleg für die Existenz einer Kopie ist der Brief, den der Maler am 12. Juni 1776 an seinen Schwager Anton von Maron in Rom richtete und in dem er den Kupferstich von Cunego kritisiert [DW_275/GR_04]. Den Grund für die mangelnde Werktreue des Stiches sieht er darin, dass der Stecher nicht das Original benutzt habe („avesse intagliato dall’originale“, nach von Einem 1973, S. 77). Da Cunego in Rom arbeitete, muss dort ein Bild existiert haben, das Cunego zur Verfügung stand, d. h. eine Kopie, die zwischen 1774 und 1776 ohne Beteiligung oder Revision durch den damals in Madrid weilenden Mengs gemalt worden war. Da sich dieses Bild, von dem später (1793) gesagt wurde, dass Mengs es retuschiert habe [DW_275/WK_31] bis ca. 1794 in Rom befand, wurde es zum Ausgangspunkt von mehreren Zweitkopien. Vom Florentiner Original unterscheidet sich diese Gruppe (Typus A) durch den seitlich leicht vergrößerten Bildausschnitt, die größere Höhe (100-104 cm) sowie die gerundeten und weichen Gesichtsformen, die Mengs an dem von Cunego nach der Kopie angefertigten Stich kritisiert hatte.
Die Existenz einer weiteren Kopie (Typus B) ist durch den 1784 datierten Nachstich von Sintzenich dokumentiert [DW_275/GR_16], dessen Legende den Freiherrn Carl Theodor von Dalberg (1744-1817) als Besitzer angibt. Auf der kolorierten Version dieses Stiches erscheinen der Mantel grau und die Weste blau, während in der Florentiner und der St. Petersburger Version der Mantel goldgelb und die Weste rot sind. Einige Kopien [DW_275/WK_01, DW_275/ WK_02, DW_275/WK_ 10, DW_275/WK_13, DW_275/WK_45] folgen der gegenüber dem Original veränderten Farbvariante. Möglicherweise ist Anton von Maron für sie verantwortlich, da sie sich auch in der von ihm 1790 angefertigten Teilkopie findet (Roettgen 1999, Kat. 275 WK 27). Auch die signierte Kopie von Friedrich Gotthard Naumann (Roettgen 1999, Kat. 275 WK 8), die während der römischen Jahre des Malers (1772-1781) entstand, folgt dieser farblichen Variante. Große Ähnlichkeit mit Naumanns Kopie weist das Exemplar Kat. 275 WK 10 auf, aber auch das von Carlos Espinosa stammende Exemplar der Academia de San Fernando in Madrid (Kat. 275 WK 19) zeigt dieselben physiognomischen und koloristischen Merkmale. Da Mengs beim Malen seiner Selbstbildnisse kräftige farbliche Kontraste vermied, dürfte dieses kräftige und kontrastreiche Kolorit, das die Gesamterscheinung verändert, nicht auf ihn zurückgehen. In Rom befand sich damals das St. Petersburger Exemplar [DW_275/K_31], das farblich mit dem Original übereinstimmt. Auch die ehemals in Donaueschingen befindliche Kopie (Roettgen 1999, Kat. 275 lässt sich namentlich zuordnen. Hierbei handelt es sich um ein Werk von Philipp Jakob Becker (1759-1829), der von 1779 bis 1785 in Rom gearbeitet hat. Demnach basiert seine Kopie auf dem St. Petersburger Exemplar, was durch den Vergleich der beiden Bilder bestätigt wird.
Die wenigsten Kopien und Nachstiche basieren auf dem Florentiner Original (Typus C), was damit zusammenhängen könnte, dass die Kopiererlaubnisse in Florenz restriktiv gehandhabt wurden. Von den Stichen basieren DW_275/GR_3, DW_275/GR_08 und DW_275/GR_14 auf dem Original. Das einzige bildlich dokumentierte Gemälde, das in den Gesichtsformen und im Bildausschnitt und im Kolorit mit der Florentiner Fassung übereinstimmt, ist DW_275/WK_17. Die Qualität dieses Bildes ist so gut, dass hier ein Eigenanteil vorstellbar ist. Auch die Abmessungen weichen nur geringfügig vom Florentiner Bild ab (Roettgen 1999, Kat. 275 WK 17).
Von den bisher bekannten Exemplaren wurden außer dem Original vier auf eine Holztafel gemalt [DW_275/WK_02, DW_275/WK_20, DW_275/WK_31, DW_275/WK_35]. Obwohl Mengs diesen Bildträger bevorzugte, ist seine Eigenhändigkeit in diesen drei Fällen auszuschließen.
Ein weiter Ausgangspunkt der Kopien waren die Reproduktionsstiche, von denen nur wenige datiert sind, deren Entstehungsdaten nur ungefähr aus den Lebensdaten der Stecher erschlossen werden können. Neben den Stichen von Cunego (1776) und Sintzenich (1784) wurde der seitenverkehrte und auf 1779 datierte Stich von Lips zum Ausgangspunkt von Teilkopien, die sich auf Kopf und Büste beschränken. Welche Vorlage Lips benutzt hat, ist nicht feststellbar, da er in der fraglichen Zeit in Zürich für Lavater arbeitete und erst 1782 nach Rom kam. In Format und Auffassung steht seine Arbeit den Teilkopien DW_275/WK_37 und DW_275/WK_48 nahe.