Tattoo Artist Frederico Rabelo stach das Motiv 2019 in Juiz de Fora für Benjamin Aldo. Vorbild für die den ganzen Rücken des Trägers einnehmende Tätowierung waren verschiedene Werke Dürers, die der Tattoo Artist zu einer neuen Komposition zusammenfügte. Die Figur des stehenden Schmerzensmannes ist in erster Linie an dem um 1500 entstandenen Kupferstich "Der Schmerzensmann mit den ausgebreiteten Armen" orientiert (vgl. Schoch/ Mende/ Scherbaum I, S. 83, Nr. 26). Der nur mit einem Lendentuch bekleidete Christus trägt die Dornenkrone, Hände und Füße sind von den Kreuzigungsmalen gezeichnet. In Abweichung zum Kupferstich hält er den rechten Arm jedoch nicht erhoben, sondern greift in die Seitenwunde, mit den Fingern die Wundränder des Lanzenstiches geradezu schmerzhaft auseinanderziehend. Vorbildgebend hierfür war augenscheinlich ein Dürer zugeschriebenes Studienblatt in London (British Museum, Inv.-Nr. 1919,0519.1, vgl. Schwartz 2024, S. 21). Der Federzeichnung ist zudem der Fall der Locken über die rechte Schulter nachempfunden. Tattoo Artist Rabelo ergänzte weitere Wunden auf der Brust des Gekreuzigten und einzelne Dornen, die in dessen Körper stecken.
Den vertikalen Kreuzesbalken hinter der Figur des Leidenden wandelte Rabelo zum Baumstamm mit Ästen ab und fügte eine Leiter hinzu, die an Darstellungen der Kreuzabnahme erinnert. Von rechts oben sinkt ein Vogel im Sturzflug herab in Richtung der erhobenen Linken Christi. In einem anlässlich der Sonderausstellung "Dürer under your skin: Tattoo art" an das Albrecht-Dürer-Haus eingesendeten Statement verweist der Tattoo Artist auf den Holzschnitt "Die sieben Posaunenengel" aus Dürers Zyklus der Apokalypse als Vorlage: mittig stürzt dort ein wehklagender Greifvogel zur Erde hinab (vgl. Schoch/ Mende/ Scherbaum II, S. 84, Nr. 118). Ebenfalls der Apokalypse entnommen ist ein Detail im Hintergrund der Tätowierung. Vor einer Gebirgslandschaft ragt über einen See von rechts ein knorriger Baum auf, der aus der Szene "Der Engel mit dem Schlüssel zum Abgrund" stammt (vgl. Schoch/ Mende/ Scherbaum II, S. 104, Nr. 126). Neben der komplexen Motivkombination fällt die Tätowierung insbesondere durch die übersteigert wirkende Körpermodellierung des Schmerzensmannes auf. Die Betonung der Wunden Christi wird ergänzt von einer nahezu dramatischen Herausarbeitung der Muskeln, die aufgrund der speziellen Linienführung an die Maserung von Holz erinnern.