Das 1779 von Carlo Giuseppe Ratti wegen seiner Lebensnähe hochgelobte Bildnis, das Mengs während seines Aufenthaltes in Genua von März bis Mai 1770 gemalt hat, wird auch in den Werkverzeichnissen von Bianconi, Azara, Doray de Longrais und Prange erwähnt, blieb jedoch ihren Augen ebenso verborgen wie den Augen der Nachwelt. Nach fast 250 Jahren, die es in der Verborgenheit der Genueser Paläste bestens überstand, wurde es erst vor kurzem publiziert und in seinen lokal- und kunstgeschichtlichen Kontext gestellt (Di Fabio 2016, 2017).
Die Dargestellte war die Gemahlin von Giovanni Battista Cambiaso, damals einer der reichsten und angesehensten Patrizier Genuas, der 1771 zum Dogen gewählt wurde, aber bereits 1772 verstarb. Als Mutter von neun Kindern übernahm seine Witwe 1773 zusätzlich die Vormundschaft und Erziehung von vier verwaisten Neffen und zog in den späteren Palazzo Doria Tursi in der Strada Nuova (heute Sitz der Stadtverwaltung), wo sich laut Ratti 1780 auch ihr Bildnis befand, das später in den Besitz ihres Sohnes Gaetano Giovanni Maria Cambiaso (1759-1836) überging, der sich und seine Gemahlin Geronima Gentile Cambiaso 1792 durch Anton von Maron in zwei Einzelbildnissen gleicher Größe für die Familiengalerie porträtieren ließ (Di Fabio 2016, 2018).
Nach Stil und Ausstattung steht das Bildnis den höfischen Damenbildnissen nahe, die Mengs kurz zuvor in Madrid gemalt hatte. Besonders auffällig ist die Nähe zu den prunkvollen Bildnissen der Maria Carolina von Neapel [Roettgen 1999, Kat. 165] und der Maria Luisa von Parma [Roettgen 1999, Kat. 180]. An letzteres erinnert vor allem die Auffassung des in leichter Untersicht gegebenen rundlichen Gesichtes, in dem sich jugendliche Ausstrahlung und würdevolle Distanziertheit paaren.
Die Patrizierin präsentiert sich sitzend in einem cremefarbenen und aufwändig mit Spitzen und rosafarbenen Schleifen verzierten Seidenkleid. In farblicher Abstimmung auf die Tonalität des gesamten Bildes ist ihre grau gepuderte Pompadourfrisur mit kleinen Blüten in Rosa und Creme garniert. Der enge Raum, in dem die Dargestellte auf einem kostbar tapezierten Sessel Platz genommen hat, wird im Hintergrund durch einen dunkelroten Vorhang begrenzt, der ebenso wie das festliche Gewand und die kostbare Schmuckgarnitur aus Perlen, Diamanten und Rubinen als Statussymbol fungiert.
Ein geschlossener Fächer, die diskret in den Falten des Gewandes versteckte goldene Uhr an der Kette mit Emaileinlagen und ein duftig gemaltes Gesteck am Decolletée aus gelben und dunkelroten Ranunkeln und einer leicht verblühten rosafarbigen Peonie runden das repräsentative Erscheinungsbild ab, das trotz der Pracht und Noblesse der Accessoires eine natürliche Ausstrahlung besitzt und den individuellen Charakter der Dargestellten auf unprätentiöse Weise wiedergibt.