Durch eine Reportage von Kerstin Holm wurde 2004 bekannt, dass sich im Museum von Barnaul ein Werk von Mengs befindet. Es handelt sich um ein Gemälde, das dank der ausführlichen Beschreibung Azaras, die sich nur in der spanischen Edition von 1780 findet, als das von Mengs für Stackelberg gemalte allegorische Porträt der russischen Zarin identifizieren lässt:
„El Retrato de Catarina II. Emperatriz de las Rusías, con manto y corona imperial: Composición alégorica, en que hay varias figuras, por encargo del Baron de Stakelberg, ministro Plenipotenciario de aquella Soberana en Madrid. Alto seis pies poco mas ó menos, y el ancho correspondiente.”
Die Gelegenheit zu diesem Auftrag ergab sich in den Jahren 1767 – 1772, als Stackelberg in diplomatischer Mission in Madrid weilte. Da Mengs 1769 Madrid verließ, muss das Gemälde zwischen 1766 und 1769 entstanden sein. 1771 wurde Stackelberg zum Wirklichen Kammerherrn der Zarin ernannt. Möglicherweise war dies für ihn der Anlass, ihr das Gemälde, zu dedizieren, da es sich 1840 (Nagler S. 119) in den Kaiserlichen Sammlungen befand.
Die erhöht thronende Katharina ist in einem antikisierenden Gewand in hellem Rot und kräftigem Gelb dargestellt. Hinter ihr bauscht sich ein roter Vorhang, am linken Bildrand ist ein kannelierter Pilaster sichtbar. Zu ihrer Rechten – im Bild links - steht die behelmte Athena, die sich auf ihre Lanze stützt und einen Zweig mit spitzen Blättern (Olive?) in der Hand hält. Auf Athena verweist auch die Tafel, die der über Katharina schwebende Genius in der Hand hält. Zur Linken der Zarin steht gesenkten Blickes der mit einem Fell bekleidete Herkules, der sich auf die Keule stützt. Hinter ihm steht ein nackter Knabe, der eine brennende Fackel nach unten senkt, während vorn rechts mehrere verknäulte Schlangen liegen. Eine brennende und gesenkte Fackel fungiert als imago des Emblems VIRES INCLINATA RESUMO (Wenn ich gebeugt werde, gewinne ich Kraft), und spielt auf die Stärkung der Tugend durch Widrigkeiten an (Henkel/ Schöne, Emblemata 1996, Sp. 1365), als deren Verkörperung wohl das Schlangenbündel zu deuten ist. Beide Motive ergänzen die allegorische Aussage des Gemäldes.
Die linke Bildhälfte nimmt ein geflügelter und mit Lorbeer bekränzter Genius ein, der auf einer roten Draperie über einem Stapel von Büchern sitzt, und dessen Blick sich auf Herkules richtet, während er sich anschickt, in ein großes aufgeschlagenes Buch zu schreiben. Die Zarin ist demnach die neue Athena, deren von Athena und Herkules assistierte Taten in das Buch der Geschichte geschrieben werden.
Nicht nur die thematischen, sondern auch die kompositionellen Analogien zum Deckenbild der Stanza dei Papiri sind offensichtlich. Die kompositionelle Grundstruktur nimmt die des mittleren Deckenspiegels [307B] vorweg. Daraus folgt, dass sich Mengs schon während seines Madrider Aufenthaltes mit dem Themenkreis der Herrscherallegorese befasst hat, so dass ihm die für den römischen Auftrag wesentlichen Elemente vertraut waren.
Stilistisch und in den Draperien ist die Nähe zur Apotheose des Herkules und ihrem Figurenpersonal deutlich (Roettgen 1999, Kat. 296).
Die Frage nach der Vorlage für die Gesichtszüge der Zarin lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ähnlichkeit besteht mit der Büste von Marie-Anne Collot, die allerdings erst 1771 entstand.