Das der älteren Forschung unbekannte Bildnis ist von Kelly aufgrund der rückseitigen Beschriftung in das Jahr 1761 datiert worden. Die Aufschrift, die aus späterer Zeit stammt, beruhte anscheinend auf mündlichen Informationen, woraus sich auch die im angelsächsischen Bereich übliche Korrumpierung des Malernamens in „Minx“ erklärt. Dies lässt auch die Datumsangabe als nicht unbedingt verlässlich erscheinen.
Sir James Gray lebte von 1753 bis 1764 in Neapel, zunächst in der Funktion eines „extraordinary envoy“ und ab 1759 als „envoy plenipotenciary“ der britischen Krone. Von 1767 bis 1769 war er als Botschafter am spanischen Hof in Madrid akkreditiert. Da Gray am 11. April 1761 mit dem britischen Verdienstorden «Order of the Bath» ausgezeichnet wurde, mit dessen Insignien er in dem Porträt dargestellt ist, muss das Bildnis auf jeden Fall nach diesem Datum vollendet worden sein.
Aus den biographischen Eckpunkten ergeben sich für die Datierung mehrere Möglichkeiten: Mengs könnte die Modellstudie während seines Aufenthaltes in Neapel (Oktober 1759 bis April 1760) ausgeführt haben und das Bildnis vor seiner Abreise nach Spanien im Jahr 1761 in Rom vollendet haben. Es könnte aber auch während der spanischen Mission von 1767 bis 1769 vollendet worden oder überhaupt erst entstanden sein, als Mengs ebenfalls in Madrid arbeitete. Vom Alter des Dargestellten her wären beide Datierungen möglich. Auch stilistisch besteht keine Präferenz für eines der beiden Daten.
Sowohl in Neapel wie in Madrid dürfte es seine offizielle Funktion gewesen sein, die Gray mit Mengs in Kontakt brachte. Als eines der Gründungsmitglieder der Londoner Society of Dilettanti interessierte er sich für Themen, die mit der Architektur und der Antike zu tun hatten. So manifestierte er 1754 sein Interesse am Bau des Schlosses in Caserta und diskutierte darüber mit König Karl VII. (Quelle in Ingamells 1997, S. 424). Gray engagierte sich 1769 für die Publikation der ersten Ausgabe der «Ionian Antiquities» von R. Chandler, N. Revett und W. Pars seitens der Dilettanti.
Wie Kelly betont hat, richten sich die Pose und der nach links weisende Zeigegestus nach dem Bildnis des Malers Daniel Mytens in Anthonis van Dycks «Ikonographie» (1635 ff.). Der Zeigegestus kommt jedoch – mehrfach variiert ‒ im Oeuvre von Mengs häufiger vor, so dass ein direkter Rückbezug nicht zwingend ist. In jedem Fall kommuniziert der Gestus, konform zur Rolle des Dargestellten in seiner diplomatischen Mission, die Bildaussage im Sinne eines Sich-selbst-Präsentierens. Obwohl das 1741 von George Knapton gemalte Bildnis Grays einer anderen Bildtradition folgt, fällt auch hier der deklamatorische Gestus auf, für den ebenfalls auf Vorbilder aus van Dycks «Ikonographia» verwiesen wurde (Bruce Redford, Dilettanti. The Antic and the Antique in Eighteenth-Century England, Ausstellungskatalog Los Angeles, J. Paul Getty Museum 2008, S. 39 und fig. 1.27).
Die starke Verschmutzung der Oberfläche verdunkelt die für das Gewand eingesetzten Farbpalette in hohem Maße. Gleichwohl lassen sich - unabhängig von der Frage der Datierung - die für Mengs‘ Porträts geltenden Merkmale ausmachen. Der aufmerksame und wohlwollende Blick und der Schmelz des Inkarnats geben dem Bildnis eine Lebendigkeit, die den offiziösen Auftritt überspielt. Ein weiteres Bildnis Grays stammt aus dem Nachlass von Sir Joshua Reynolds und wird, jedenfalls in der Anlage, ihm zugeschrieben (E.K. Waterhouse, Pompeo Batoni’s Portrait of John Woodyeare, in The Minneapolis Institute of Fine Arts Bulletin, 64, 1978-1980, 61). Obwohl gegenüber dem Bildnis von Mengs seitenverkehrt, weisen die Gesichtszüge und der Ausdruck eine große Ähnlichkeit diesem auf. Da angenommen wird, dass Reynolds‘ Bildnis nach Grays Tod entstand, dürfte dies kein Zufall sein. Möglicherweise diente das Bildnis sogar als Vorlage.