DW_354 Bildnis eines greisen Mannes (Mengs, Anton Raphael)

Das Bildnis wird in den Inventaren und Katalogen der Sammlung Esterházy als Porträt des Kurprinzen Friedrich Christian von Sachsen (1722-1763) geführt. Diese Identifizierung, die nicht haltbar ist, erklärt sich aus der im Archiv Esterházy vorhandenen Dokumentation, der zufolge es sich jedoch um ein Bildnis des "Chevalier de Saxe, fils du roi Auguste II" handeln soll. Demnach müßte das Bildnis den Prinzen Johann Georg von Sachsen (1704-1774) darstellen, einen natürlichen Sohn Augusts des Starken. Der Vergleich mit dessen Bildnis von Louis de Silvestre von 1744 (vgl. AK Wunschbilder, Abb. S. 307) spricht jedoch auch gegen diese Identifizierung.
Die Provenienz des Bildes aus Dresden, das Esterházy 1821 für 100 Louis d'or erwarb (Dok. 3,4), kann zwar als gesichert gelten, nicht aber die Geschichte des Bildes, die sein Verkäufer, ein gewisser Capitain Franquet, in seinen zwei Briefen an den Fürsten Nikolaus Esterházy darlegt (Dok. 1, 2). Dass sie weitgehend erfunden ist, zeigt sich an den Details der Erzählung. Er habe, so schreibt Franquet, das Bild von seinem Vater geerbt, der vor Beginn des Siebenjährigen Krieges (August 1756) mit dem Chevalier de Saxe in engere Beziehung getreten war, da seine Frau einen seiner Pagen, der an den Pocken erkrankt war, gesund gepflegt hatte.
Zur Entstehung des Porträts tischt er die folgende Geschichte auf: "Mon père demanda à Raphael Mengs,dans ce tems a Dresde, avec le quel il etait intimement lié et qui depuis quelque tems déja, lui avait promis un souvenir de sa main lorsqu'il partirait pour Rome, s'il voudrait lui faire le portrait de ce Prince? le grande artiste y consentit aussitot pourvu que mon père obtint du prince que il posa deux ou trois fois, ma mère demanda cette grace qui dans le même instant lui fut accordée. Ce chef-d-oeuvre fini le Prince en fut enchanté et dit au jeune Mengs, en lui donnant 100 Louis en or, "je ne paye par votre talent, je sai c'est un cadeau que vous destinez au brave Franquet, dont la femme a sauvé la vie à un enfant, qui m'est bien cher, donnez de lui et dites lui que je suis flatté de la demande qu'il vous en a fait." (Dok. 1). Mit den unseriösen Tricks eines Trödlers versuchte Franquet, der, wie aus seinen Briefen hervorgeht, ehemals im Dienst des Fürsten gestanden hatte, hier wohlbekannte historische Personen und Daten (Abreise von Mengs aus Dresden) so mit dem Bildnis zu verknüpfen, dass es ein einigermaßen plausibles Pedigree erhielt und dass er seine dann auch bewilligte Forderung von 100 Louis d'or rechtfertigen konnte.
Esterházy war zwar ein großer Verehrer von Mengs, aber von den "plusieurs grandes ouevres de ce célèbre peintre", die er sich rühmte, in seiner Galerie zu haben (Dok. 3) ist tatsächlich nur dieses Porträt eines Unbekannten authentisch, obwohl es seit seinem Ankauf einem falschen Kontext zugeschrieben wurde. Auf welchem Wege das Porträt tatsächlich nach Dresden gelangt war, lässt sich angesichts der vier Jahrzehnte, die 1820 seit Mengs' Tod vergangen waren, nicht rekonstruieren. Auf jeden Fall muss das Werk in Rom entstanden sein. Bei dem in vornehmer Alltagskleidung posierenden Dargestellten, dessen Alter sich zwischen 20 und 30 Jahren bewegt, dürfte es sich um einen der britischen Romreisenden handeln, die Mengs während des dritten Romaufenthaltes zwischen 1752 und 1761 porträtiert hat. Stilistisch eng verwandt sind die Bildnisse von Henry Lyte (DW_219, DW_220), Thomas Robinson (DW_228) und Robert Sutton (DW_231).