DW_314 Heilige Familie mit Nähkorb (Mengs, Anton Raphael)

Die Komposition folgt weitgehend einem signierten und 1765 datierten Gemälde, das Mengs für Karl III. von Spanien gemalt hat (Roettgen 1999, Kat. 44). Das Londoner Gemälde war nach dem Zeugnis von José Nicolas de Azara das erste Ölbild, das der seit 1761 als Hofmaler im Dienst des spanischen Königs stehende Mengs in Madrid für seinen Dienstherrn gemalt hat. Eine der Vorzeichnungen (Roettgen 1999, Kat. 44-VZ1), die sich auf einem Skizzenblatt mit mehreren Entwürfen befindet, gibt die endgültige Komposition wieder. Jedoch befinden sich auf dem gleichen Blatt weitere z.T. gerahmte Entwürfe für Darstellungen der hl. Familie, in denen Maria nur bis zum Knie gezeigt ist und in denen das Jesuskind nach unten auf den neben Maria stehenden Johannesknaben blickt. Daraus lässt sich schließen, dass Mengs 1765 mit mehreren Varianten dieser deutlich an Raffael orientierten Kompositionsidee in einem reduzierten Format experimentiert hat.
Die Autorschaft von Anton Raphael Mengs ist nach einer am 19. März 2016 erfolgten Autopsie unzweifelhaft. Die Provenienz des Bildes aus einer Sammlung, die sich in direkter Linie über fünf Generationen auf den Infanten Francisco de Paula (1794-1865) zurückführen lässt, den jüngsten Sohn von König Karl IV. und der Maria Luisa von Parma, spricht dafür, dass es, vermutlich in zeitlicher Nähe zur ersten Version, für ein Mitglied der königlichen Familie gemalt wurde. Die Reduktion des Formats und der Figurenzahl geben einen diskreten Hinweis darauf, dass diese Person rangmäßig unter dem König stand, aber wohl dem Königshaus angehörte.
Durch die Reduktion des Figuren- und Motivrepertoires veränderten sich die Erscheinung und die Bildaussage. Eine inhaltlich und formal besonders relevante Veränderung stellt der Verzicht auf die Gestalt des Johannesknaben dar, dem Maria in der ersten Fassung liebevoll ihr Antlitz zuwendet. Die „Leerstelle“ in der Komposition, die durch den Wegfall dieser Figur verursacht wurde, kaschierte der Maler durch das Motiv des Korbes, der mit einem weißen Tuch gefüllt ist, das ein breiter roter und zwei schmale schwarze Streifen zieren. Ursprünglich links neben Johannes platziert, ist der Korb an dessen Stelle getreten und stellt in dieser Umformung ein markantes Bildmotiv dar, das den nach unten gerichteten Blick der Muttergottes auffängt. Durch die Reduktion des Formats entfielen auch weitere Motive der ersten Komposition.
Ikonographisch bedeutsam ist das Motiv der metallisch glänzenden Handarbeitsschere, die umgedreht in den Korb gesteckt ist, so dass die Scherenhebel nicht sichtbar sind. Nach dem apokryphen Evangelium des Pseudo-Jacobus und gemäß den aus dem Spätmittelalter stammenden Marienlegenden arbeitete Maria während des ägyptischen Exils in der Tischlerwerkstatt Josephs an der aus einem einzigen Stück gewirkten Tunika für ihren Sohn, das sich seinem Alter anpasste und das Jesus bis zur Kreuzigung trug. Es ist das gleiche Gewand, um das die Kriegsknechte nach der Kreuzigung würfelten (Ev. Joh. 19, 23-24), bevor es Pilatus ihnen abkaufte. Die Einfügung dieses Motivs belegt, wie wichtig des dem Maler war, für die reduzierte Wiederholung der ursprünglichen Bildidee eine inhaltlich und formal plausible Alternative zu entwickeln.
Neben diesem Motiv wird die Eigenhändigkeit durch die der ersten Version gleichrangige malerische Qualität bezeugt, die sich insbesondere in der Feinheit der Inkarnatschattierungen und des Sfumato zeigt.