Dank der Zeichnung, die Mengs‘ Tochter Anna Maria, genannt Annuccia, 1774 nach dieser Porträtstudie angefertigt hat [DW_348/WK_01], lassen sich die Zweifel an Mengs‘ Autorschaft, die mich 2005 zur Zuschreibung an Anton von Maron veranlasst hatten (s. Schmittmann 2013, S. 260), ausräumen.
Auch wenn sich eine gewisse Ähnlichkeit mit den gesicherten Bildnissen William Pitts des Jüngeren (1759-1806) nicht abstreiten lässt, entbehrt die rückseitige Identifizierung mit dem britischen Staatsmann jeder biographischen Grundlage, auch weil sich Pitt niemals nach Italien begeben hat. Aufgrund des Wortlauts der Beschriftung muss die Benennung zeitgleich mit dem Erwerb des Porträts in Rom erfolgt sein, d.h. zu einem Zeitpunkt, als Pitt in England eine so bekannte Persönlichkeit war, dass auch eine generische Ähnlichkeit zu falschen Rückschlüssen führen konnte.
Die richtige Bestimmung des Bildnisses ergibt sich aus dem Vergleich mit Batonis Bildnis von Henry Herbert, 10. Earl of Pembroke (1734-1794), das in zwei eigenhändigen Exemplaren existiert (Bowron 2016, Kat. 167, 168). In den Gesichtsproportionen, im Inkarnat und in der Haarfarbe sowie in der Augen-, Nasen- und Mundform bestehen engste Übereinstimmungen. Auf dieser Grundlage ist es wahrscheinlich, dass es sich um ein in Mengs‘ Nachlassinventar von 1779 als „Milord Pembrock“ bezeichneten Gemälde handelt, dessen niedrige Bewertung mit 25 Scudi auf ein kleines Format und auf eine Modellstudie schließen lassen (Roettgen 1999, QU 131). Pembrokes Grand Tour fällt in die Jahre 1751-1754. In Venedig traf er mit William Anne Holles Capell, 4th Earl of Essex (1732-1799) zusammen, mit dem er dann die Reise fortsetzte. Über ihren Romaufenthalt im Jahr 1753 ist bekannt, dass sie zusammen mit dem Earl of Thanet und Lord Charlemont in der Casa Guarnieri bei der Porta Pinciana logierten (http://www.kuenstlerleben-in-rom.de/der-traum-von-italien/wohnstadt-rom/, aufgerufen 26.05. 2019). Im Frühjahr 1754 gingen beide mit dem Maler Richard Wilson nach Tivoli und sahen ihm dort beim Malen zu (Ingamells S. 342).
Mengs hatte in dieser Zeit nicht nur engen Kontakt zu Richard Wilson, den er auch porträtiert hat (Roettgen 1999, S. 304), sondern traf 1753 auch mit dem 4th Earl of Essex zusammen. Dies ergibt sich aus dem Briefwechsel zwischen Essex und seinem Schwiegervater in spe, Charles Hanbury Williams, mit dessen Tochter Frances er verlobt war. William forderte Essex am 6. Januar 1753 auf, sich mit Mengs in Verbindung zu setzen, sobald er in Rom sei (Roettgen 1999, S. 300, Dok.1), um etwas über das Porträt zu erfahren, das der Maler von ihm in Dresden begonnen hatte und das erst gegen Ende des Jahres 1754 nach England gelangte (Roettgen 1999, Kat. 233).
Diese Konstellation dürfte auslösend für die Porträtsitzung gewesen sein, aus der die Ölstudie hervorging, die der Typologie der in Mengs‘ Oeuvre gut vertretenen Studien nach dem lebenden Modell angehört, für die er nicht mehr als zwei Stunden benötigte (Roettgen 1999, Kat. 225). Eng verwandt ist die Modellstudie für das Bildnis des Carlo Rezzonico [DW_349].
Im Unterschied zu Batonis Bildnis, das den jungen Mann in kontrollierter und selbstbewusster Pose zeigt, fokussiert Mengs das nah herangeholte Gesicht des zum Zeitpunkt der Porträtsitzung knapp Zwanzigjährigen, dessen abweisender Ausdruck sich in dem vagen Blick zur Seite visualisiert. Mit einer solchen Botschaft hätte sich das Bildnis kaum für die offizielle Funktion geeignet, die den Grand-Tour-Bildnissen nach der Rückkehr in heimatliche Gefilde zukam. Wohl aus diesem Grund blieb die Bildnisstudie ohne Folgen.