DW_272/WK_05 Selbstbildnis im Dreiviertelprofil

Das von Javier Jordan de Urries y de la Colina publizierte Gemälde entspricht farblich dem verlorenen Original, wie sich aus dem Vergleich mit DW_272/WK_02 ergibt. Allerdings ist das Kolorit aufgrund der anderen Technik intensiver und gesättigter. Seine These, dass es sich um eine frühere Redaktion des Dresdner Pastells handele, die bereits 1743, d.h. noch in Rom entstanden sein müsse, beruht auf der Beobachtung, dass der Dargestellte in diesem Bildnis jünger wirke als in dem Pastell. Da sich Mengs während des ersten Romaufenthaltes schon intensiv mit den Werken Raffaels auseinandergesetzt hat, sei es naheliegend, dass er sich schon vor der Rückkehr nach Dresden in einer raffaellesken Pose porträtiert habe.
Grundsätzlich lässt sich nicht ausschließen, dass es eine in Ölfarben gemalte Version des Bildnisses gab, analog zu anderen Fällen, die in jüngerer Zeit bekannt geworden sind (Silvestre, Friedrich August der Gerechte). Auch die Benutzung von Papier für Ölfarben ist – zumindest im späteren Oeuvre – für Mengs nicht ungewöhnlich. Dennoch bleiben im konkreten Fall Zweifel, die sich vor allem auf die Wiedergabetreue beziehen. Während in den beiden genannten Fällen die Übereinstimmungen zwischen dem Pastell und der Ölversion höchsten Ansprüchen genügen, ist dies hier nicht der Fall. Die Wiedergabe der Augenpartie weicht erheblich von dem nur in einer Schwarzweiß-Fotografie bekannten Dresdner Pastell und von der zeitnahen Kopie DW_272/WK_02 ab. Der Vergleich mit dem früheren Dresdner Selbstbildnis [DW_273Z] von 1740 zeigt außerdem, dass die Augen deutlich länger und schmaler sind und es wird auch deutlich, dass schon in den jugendlichen Bildnissen die Augenlieder so über den oberen Augenrand gezogen sind, dass es zu einem spitzen äußeren Augenwinkel kommt. Die Folge dieses anatomischen Details ist der für fast alle Selbstbildnisse charakteristische kritische und etwas mürrische Blick. Genau dieses Merkmal fehlt jedoch in der Redaktion in Öl und dies führt zu einer deutlich geringeren physiognomischen Ähnlichkeit mit Mengs‘ Gesichtszügen bzw. zu deren Verfremdung. Ihm selbst wäre eine derartige Ungenauigkeit, die teilweise bis zur Deformation geht, wohl kaum unterlaufen, jedoch findet sie sich in zahlreichen Kopien seiner Selbstbildnisse, so z. B. auch in dem Reproduktionsstich von Müller [DW_272/GR_03].
Aus meiner Sicht handelt es sich um eine in der Maltechnik anspruchsvolle Kopie etwas späteren Datums. Über die Vorbesitzerinnen, deren Namen auf den Etiketten vermerkt sind, lässt sich vorerst nichts Weiteres sagen. Bekannt ist lediglich eine schwedische Landschaftsmalerin namens Evelina Stading (1803-1829), die nach einem längeren Aufenthalt in Dresden ab 1827 in Rom lebte (Thieme-Becker, XXXI, 1937, S. 435). Vielleicht war die Hofdame gleichen Namens eine ihrer Nachkommen. Die Formulierung „a.D.“ (außer Dienst) lässt auf eine Datierung des Etiketts in das spätere 19. Jahrhundert schließen.