DW_Z_173 Vision der hl. Katharina Fieschi

Der Entwurf bezieht sich auf ein Altarbild, das Carlo Giuseppe Ratti 1771 in Rom für die Kirche des Conservatorio delle Fieschine in Genua geschaffen hat (Collu 1983, Kat. 38). Die Komposition, die Figurenbildung und der Duktus weisen jedoch so enge Beziehungen zu Mengs auf [Roettgen 1999, Kat. 30 VZ 2, Kat. 51 VZ 3, Kat. 53, VZ 1, Kat. 54, VZ 2, Kat. 76. VZ 1, Z 18], dass die bisherige, durch die alten Aufschriften begründete Zuweisung der Zeichnung an Ratti zu revidieren ist. Gestützt wird die hier vorgeschlagene Autorschaft von Mengs durch die kürzlich bekannt gewordene Entwurfszeichnung von Ratti (Abb.), die in vereinfachter Form die wesentlichen Elemente der Komposition (Personal, Bildformat) enthält, motivisch, zeichnerisch und stilistisch jedoch erheblich von dem hier besprochenen Entwurf abweicht, der für die Übertragung auf die Leinwand des Bozzettos quadriert und am linken Rand mit Zahlen versehen wurde, die wohl als Übertragungshilfen dienten.
Aufgrund dieser neuen Fakten und Erkenntnisse stellt sich die Entstehungsgeschichte des Bildes, das als Rattis wichtigstes Werk gilt, differenzierter dar als von den Quellen überliefert (Lanzi 1809, Alizeri 1864). Diese geben an, dass Mengs das unter seiner Aufsicht entstandene Altargemälde nicht nur retuschierte, sondern außerdem die Zeichnung für das Gesicht der hl. Katharina Fieschi (1447-1510), die seit 1684 als Stadtpatronin in Genua verehrt wurde, "con mirabile espressione" ausgeführt habe. Tatsächlich aber zeigt die jetzt mögliche Gegenüberstellung der beiden Zeichnungen, dass Mengs Rattis Entwurf entscheidend verändert hat, indem er die heilige Katharina nicht in der ergebener Haltung einer Maria der Verkündigung, sondern im Augenblick ihres Erschreckens vor dem ihr von hinten nahenden Christus zeigt. Zwei ihn begleitende Engel stützen die Enden des Querbalkens seines Kreuzes, unter dessen Last sich sein Körper leicht nach vorn beugt. Der Engelsreigen und der zur Seite geschobene Vorhang, den Ratti für den oberen Teil des Bildes vorgesehen hatte, wurden durch eine Glorie mit Gottvater, Geisttaube und mehreren Engeln ersetzt, die motivisch auf eine unvollendete Darstellung der Verkündigung an Maria verweist, die sich 1779 im römischen Atelier befand [Roettgen 1999, Kat. 8]. Das ikonographisch vorgegebene Zweifigurenschema, für das sich Ratti an Marco Benefials Gemälde von 1737 (Rom, Galleria Nazionale d'arte antica) orientierte, gewinnt durch diese Veränderungen deutlich an Spannung und Intensität. Neben der kompositionellen Überarbeitung war Mengs auch für die formale Ausarbeitung der Gesichter der Hauptfiguren verantwortlich. Deutlich ablesbar ist dies am Gesicht Christi, wie der Blick auf sein in der gleichen Zeit entstandenes Noli me tangere zeigt [Roettgen 1999, Kat. 65], dessen figürliche Konstellation einem ähnlichen Grundtypus angehört. Wie von Lanzi erwähnt, lieferte Mengs auch die Vorlage für den Kopf der hl. Katharina [Z_129], den Ratti detailgenau übernahm, während er den ebenfalls in einer separaten Zeichnung von Mengs ausgearbeiteten Engel hinter Christus [DW_Z_149] verwarf, um ihm eine stärker bewegte Pose zu geben, die eher seiner vom Genueser Barock geprägten Stilsprache entsprach.
Ratti und Mengs trafen im Frühjahr 1770 in Genua zusammen, d.h. genau zu der Zeit, als Ratti den Auftrag für das Gemälde erhielt, das er in Rom vollendete, wo er ab 1771 zum Haushalt von Mengs gehörte.