DW_342 George Clavering Nassau, 3rd Earl of Cowper (1738-1790) (Mengs, Anton Raphael)

Der rückwärtigen Aufschrift zufolge hat der Dargestellte das Porträt seinem Freund Carlo di Folco Rinuccini geschenkt, der ein Auftraggeber und Bewunderer von Mengs war [> Roettgen 1999, Kat. 59]. Als Entstehungsdatum wird in der Inschrift das Jahr 1769 angegeben, jedoch wurde das Porträt nicht vor dem Spätsommer 1773 vollendet, als Mengs Anton von Maron mit der Anfertigung des Rahmens beauftragte (s. Dok.).
Seit Mengs 1760 in Rom von ihm den Auftrag für eine Hl. Familie (Bd. 1, Kat. Nr. 45) erhalten hatte, war Lord Cowper einer seiner größten Bewunderer. Damals hatte Mengs auch sein Porträt angefertigt (Roettgen 1999, Kat. 204), das in seinem Atelier verblieb, wohl mit der Absicht, sie als Grundlage für ein Porträt zu verwenden. Das Projekt des Bildnisses wurde aber erst im Jahr 1770 wieder aufgegriffen, als die frühere Bildnisstudie altersmäßig überholt war. Dennoch blieb der einmal gewählte Bildnistypus auch für das zweite Porträt maßgeblich, das 1770 begonnen und 1773 in Florenz vollendet wurde.
Cowper war nicht nur Sammler und Mäzen, er hatte auch sonst vielseitige künstlerische und naturwissenschaftliche Interessen. So unterstützte er u.a. Alessandro Volta in seinen Versuchen mit der Elektrizität. Nach einer ersten Begegnung mit dem Kontinent und insbesondere mit Italien während seiner Grand Tour 1757-59 verbrachte er dreißig Jahre seines Lebens in Florenz. Dort avancierte er zu einem führenden Mitglied der Florentiner Gesellschaft und wurde Mitglied der Florentiner Accademia del Disegno, der Accademia della Crusca, der Accademia Etrusca und auch der Accademia di Belle Arti von Venedig. Er unterhielt ein privates Orchester in der Villa Palmieri und wurde 1772 Direktor der Accademia degli Armonici. 1777 wurde er in die Londoner Royal Society aufgenommen und nach seinem Tod wurde seine Sammlung wissenschaftlicher Instrumente an die Universität Bologna verkauft. Trotz seiner guten Beziehungen zum Haus Habsburg war Lord Cowper jedoch nicht imstande, seine Position in der britischen Kolonie in Florenz offiziell zu festigen, obwohl er 1777 – angeblich als Ausgleich für die Liaison seiner jungen Frau Hannah Gore mit dem Großherzog Pietro Leopoldo von Toskana ‒ den Titel eines Prinzen des Heiligen Römischen Reiches erhielt. Cowper war bekannt für seine Eitelkeit und seinen aufwendigen Lebensstil und wurde von Horace Walpole scherzhaft als „Doge von Genua“ bezeichnet.
Mengs zeigt den damals zweiunddreißigjährigen, aber wesentlich älter wirkenden Lord als Halbfigur in fast frontaler Ansicht in vorderster Bildebene. Die Pose mit dem vor dem Körper ausgestreckten rechten Unterarm wirkt so, als lehne sich der Dargestellte auf eine kaum angegebene Balustrade am unteren Bildrand, ein Bildausschnitt, der an ein offenes Fenster denken lässt und damit - vielleicht nicht zufällig - ein Motiv aufgreift, das in den Bildnissen der Renaissance üblich war. Kopfwendung und Blick sind in entgegengesetzter Richtung aus dem „Bild-Fenster“ gewandt. Blickrichtung und Ausdruck drücken Wohlwollen und Nachdenklichkeit aus, ebenso wie der Gesichtsausdruck, der ein belebendes, wenn auch kaum wahrnehmbares Lächeln zeigt. Das Licht, das auf das volle Gesicht des Dargestellten fällt, kommt aus der Richtung, in die er blickt, vielleicht ein Hinweis auf das dem Fortschritt geöffnete Wesen des Dargestellten, der sich als Amateurwissenschaftler dem Geist der Aufklärung verpflichtet sah.
Dank der karmesinroten Samtjacke und dem sparsam verwendeten Weiß der Halsbinde und des Jabots hebt sich das Konterfei wirkungsvoll von dem einfarbig dunklen Hintergrund ab. Durch diese Zurückhaltung und Einfachheit unterscheidet sich das Bildnis deutlich von anderen Bildnissen des „exzentrischen Lord“ von Giuseppe Fabbrini und Giuseppe Macpherson, die durch ihre bunte und opulente Aufmachung auffallen. Das etwa zur gleichen Zeit in Florenz entstandene Bildnis von Johann Zoffany, das Cowper in Hoftracht und vor einem Landschaftshintergrund mit der Kuppe des Florentiner Doms zeigt (England, Viscount Gage), ist in der Auffassung des Gesichtes dagegen von Mengs beeinflusst.