Gilles, Karl-Josef (1950-2018)

Nur selten bleibt ein Wissenschaftler seiner Herkunftsregion so eng und dauerhaft verbunden wie der Archäologe, Numismatiker und Historiker Karl-Josef Gilles, der einer eingessesenen Winzerfamilie der Mittelmosel entstammte. Er stand sein ganzes Berufsleben lang, von 1978 bis 2015, im Dienst des Rheinischen Landesmuseums Trier. Als Provinzialrömischer Archäologe hat Karl-Josef Gilles sich insbesondere durch seine Forschungen zu spätantiken Höhensiedlungen und zum römischen Weinbau einen Namen gemacht. Die vielfach anerkannte wissenschaftliche Reputation beruht zudem auf seinen Studien zur Trierer antiken und mittelalterlichen Numismatik sowie der Regionalgeschichte.
In Cochem besuchte er bis zum Abitur 1970 das Gymnasium, wo sich bereits seine Neigungen für Geschichte und Altertumskunde zeigten. Daher war es kein Zufall, dass er schon als Schüler Interesse an der heimischen Vorgeschichte fand und in fachlichem Kontakt mit dem damals für den Regierungsbezirk Koblenz zuständigen Bodendenkmalpfleger Hans Eiden stand.
Nach dem Wehrdienst nahm er im Wintersemester 1971/72 sein Studium auf, zunächst der Vor- und Frühgeschichte an der Universität Mainz bei Rafael v. Uslar. In dieser Zeit veröffentlichte er bereits erste kleine Aufsätze zur lokalen Archäologie. Daran schlossen sich zunehmend facharchäologische Beiträge in lokalen Gelegenheitsschriften an. Diese Verbindung von begeisterter Heimatkunde und angehender Fachwissenschaft erwies sich als ebenso charakteristisch wie wegweisend. Mit dem Wechsel an die Universität in Frankfurt a. M. erfolgte auch der Fachwechsel von der Prähistorie zur Archäologie der Römischen Provinzen bei Hans-Ulrich Nuber sowie der Alten Geschichte und antiken Numismatik bei Maria R.- Alföldi. 1978 wurde er mit einer innovativen quellenbasierten Arbeit zu spätrömischen Höhensiedlungen in Eifel und Hunsrück promoviert, was seinen Ruf als Spezialist spätantiker Befestigungen begründete. Als erster Provinzialrömischer Archäologe im Dienst des Trierer Landesmuseums übernahm er 1978 die nach dem Ausscheiden Reinhard Schindlers als Museumsdirektor und dem Amtsantritt von dessen Nachfolger Heinz Cüppers freigewordene Kustodenstelle. Im Bereich der Bodendenkmalpflege übernahm er von Wolfgang Binsfeld und Siegfried Gollub die Betreuung der Römerzeit und des Frühmittelalters in den Landkreisen in Hunsrück und Eifel. Vor allem in die 1980er und 1990er Jahre fallen zahlreiche Ausgrabungen römischer Villen und Heiligtümer, die – den Anforderungen der Zeit folgend – nun nicht nur archäologisch untersucht, sondern unter wissenschaftlicher Begleitung konserviert und teilweise auch rekonstruiert werden sollten. Dazu gehören vor allem römische Villenanlagen wie Mehring, Longuich und Pölich oder der Tempelbezirk von Tawern, den er zusammen mit Sabine Faust betreute. Neben römischen Nekropolen wie Schmißberg im Hunsrück galt es gelegentlich auch, fränkische Gräberfelder wie das in Schoden an der Mosel zu untersuchen. Einen besonderen topographischen Schwerpunkt stellten die immer wieder erforderlich werdenden archäologischen Einsätze in Bitburg dar.
Als Mosellaner und Winzersohn war es ihm ein besonderes Anliegen, sich mit den Fragen des antiken Weinbaus zu befassen und dort grundlegend neue Erkenntnisse zu gewinnen. Nachdem Adolf Neyses Anfang der 1970er Jahre die ersten römischen Kelteranlagen im Mittelmoselgebiet ausgegraben hatte, entdeckte Gilles durch systematische Untersuchungen und eine Reihe weiterer Ausgrabungen in den beiden folgenden Jahrzehnten eine ganze Serie dieser Weingüter, konnte oft für Teilrekonstruktionen sorgen und nachhaltig auf die charakteristischen Keltersteine aufmerksam machen. Dass er auch den lebensfrohen Seiten des Weines zugetan war, konnte man bei öffentlichkeitswirksamen Auftritten als vornehmer ‚Römer‘ in Toga auf Kelterfesten an der Mittelmosel oder entsprechenden Veranstaltungen im Landesmuseum miterleben.
Nach Wolfgang Binsfelds Eintritt in den Ruhestand wurde Gilles ab 1993 auch die Leitung des Münzkabinetts im Rheinischen Landesmuseum Trier übertragen. Damit verbunden war die Bestellung zum Deputierten des Landes Rheinland-Pfalz bei der Numismatischen Kommission der Länder der Bundesrepublik Deutschland. Aus der Betreuung des Münzkabinetts sowie der Aufnahme neuer Fundmünzen im Rahmen der Bodendenkmalpflege ergab sich zwangsläufig eine intensive Beschäftigung mit den ‚trierischen‘ Münzen: von den Prägungen der keltischen Trevererer der Spätlatènezeit über die römische Münzstätte Trier im Gallischen Sonderreich und der Spätantike zu den Emissionen der merowingischen, karolingischen und sächsischen Herrscher sowie der Trierer Erzbischöfe bis zu Clemens Wenzeslaus am Ende des Kurstaates und schließlich dem Notgeld der 1920er Jahre in der Region. Die von ihm verfassten Führer durch das Münzkabinett bilden quasi eine Einführung in die trierische Münzgeschichte. Den Höhepunkt seiner Beschäftigung mit den Trierer Münzen stellte zweifellos der große römische Goldmünzenschatz dar, der 1993 in der Feldstraße entdeckt wurde. Ganz sicher ist es insbesondere Gilles zu verdanken, dass dieser einzigartige Hortfund nicht in alle Winde zerstreut wurde, sondern sich fast vollständig in der Sammlung des Rheinischen Landesmuseums Trier befindet und heute im Mittelpunkt des Münzkabinetts steht. 20 Jahre nach der Auffindung des Schatzes konnte 2013 die zugehörige opulente Publikation vorgelegt werden. Bereits lange zuvor waren der Goldmünzenschatz und sein wissenschaftlicher Bearbeiter Gegenstand belletristischer Darstellung geworden. Es handelt sich hierbei vor allem um einen Regionalkrimi, der 1999 mit dem signifikanten Titel „Akte Mosel“ unter dem Pseudonym Mischa Martini erschien. Eine der Figuren darin ist der Oberkustos Zelig – ein Palindrom, das unschwer entschlüsselt werden kann.
Die ebenso zahlreichen wie vielfältigen Schwerpunkte der Arbeits- und Forschungsgebiete von Gilles – römische Besiedlung, Villen, Heiligtümer und Kelteranlagen, Fundmünzen und Münzschätze aus Römerzeit und Mittelalter sowie die Landes- und Ortsgeschichte – spiegeln sich in einer Fülle von Büchern und Führungsheften sowie Aufsätzen und Katalogbeiträgen.
Der Hauptanteil der Veröffentlichungen von Gilles entfällt auf die Archäologie und die Numismatik. Doch sollte man nicht übersehen, dass er sich auch als Historiker im Bereich der Regionalgeschichte betätigt hat. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei – entsprechend persönlicher Leidenschaft und Sammelinteresse – auf der Eisenbahn- und Verkehrsgeschichte. Dabei hat er sogar den Begriff der „Eisenbahnarchäologie“ geprägt. Historischen Themen des regionalen Verkehrswesens – Straßenbahn und Obus, Mosel(tal)bahn und Moselschifffahrt – ist eine ganze Reihe gut illustrierter, teilweise in mehreren Auflagen erschienener Bücher gewidmet. An etlichen Ortschroniken und Stadtgeschichten war er maßgeblich als Verfasser, Herausgeber oder Mitautor beteiligt: Zell, Briedel, Klotten und Pünderich an der Mittelmosel, ferner die Städte Bernkastel, Bitburg und Wittlich sowie die Dörfer Korlingen, Springiersbach, Irsch und Filsch im Umkreis von Trier.
Neben seiner Tätigkeit für das Rheinische Landesmuseum hat Gilles von 1990 bis 1999 regelmäßig Lehraufträge an der Universität Trier im Fach Alte Geschichte durchgeführt, darunter auch zur römischen Numismatik. Über seine dienstlichen Aufgaben und wissenschaftlichen Interessen hinaus engagierte er sich über zwei Jahrzehnte lang in der Kommunalpolitik. Seit 1999 war er als wiederholt gewählter Ortsvorsteher des Trierer Stadtteils Filsch sowie von 2004 bis 2014 als Mitglied des Stadtrates und zeitweiliger Fraktionsvorsitzender ein stets aktiver Verfechter der Interessen der Höhenstadtteile und der Anliegen seiner Mitbürger.
Mit seiner letzten großen archäologischen Untersuchung, die 2012 zur Entdeckung der Befestigung Princastellum auf der Burg Landshut über Bernkastel aus dem 4. Jahrhundert führte, kehrte er zurück zu den spätrömischen Bergbefestigungen, dem Thema der Dissertation, mit der seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen hatte. Die lebenslange Beschäftigung mit der Archäologie und Geschichte des Trierer Landes war sein Beitrag zur Erforschung der eigenen moselländischen Heimat zwischen Hunsrück und Eifel.